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Nazi-Skandal bei der Polizei – 30 Anwärter geben Handys ab

Nazi-Skandal bei der Polizei in Aachen weitet sich aus

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Foto: dpa
Hakenkreuze, Hetze, Rassismus – der Nazi-Skandal bei der Polizei in Aachen weitet sich aus. Nach der Suspendierung eines 19-jährigen Anwärters wegen rassistischen Mobbings gegen eine Kollegin wird nun auch gegen drei weitere angehende Polizeibeamte ermittelt. Hauptbeweismittel: Mobiltelefone.

Aachen. 

Nach dem rassistischen Mobbing gegen eine Polizeianwärterin helfen jetzt 30 ihrer Studienkollegen bei der Aufklärung mit. Die Anwärter aus Aachen, Köln und Bonn, von denen niemand dem Opfer beigestanden haben soll, stellten freiwillig ihre Handys mit Daten zur Verfügung, teilte die Polizei Aachen am Freitag mit. Bis Anfang nächster Woche sollen die Ermittler die neuen Daten ausgewertet haben und danach einen Abschlussbericht vorlegen. Dann werde klar sein, ob es zu weiteren Suspendierungen komme.

Bislang ist ein 19-jähriger Polizeianwärter suspendiert worden. Gegen drei weitere wird jetzt ermittelt. Insider berichteten, die drei hätten ebenfalls monatelang bei dem Mobbing mitgemacht.

Entwürdigende Texte und Bilder

Hakenkreuze, rechte Parolen, offener Rassismus – monatelang ist eine Polizeianwärterin (23) mit Migrationshintergrund von Studienkollegen in einem Kurs an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln gemobbt und erniedrigt worden. Über den Kurznachrichtendienst WhatsApp und andere soziale Medien verbreiteten angehende Polizeibeamte ungeheuerliche Beleidigungen gegen Ausländer, besonders aber gegen die Frau aus ihrer Mitte.

Die Aachener Ermittler, die sich mit dem Fall beschäftigen, müssen mehrere Tausend Seiten mit zum Teil übelster Nazi-Hetze sichten. In einem Chat-Forum der 32 Kursteilnehmer, das eigentlich dazu gedacht war, Infos über Prüfungen und Lehrinhalte auszutauschen, wurden immer wieder entwürdigende Texte und Bilder verschickt.

Die junge Frau wurde unter anderem „Ausländerschlampe“ genannt, in einem Stift fand sie ein eingeritztes Hakenkreuz. Ein angehender Polizeibeamter stellte das Bild eines toten Schwarzen ins Netz mit dem Satz „Der ist wohl eingeniggt“. Unter einem mit Hakenkreuzen beschmierten Fußball steht „So werden wir Weltmeister“. Es heißt, in dem internen Chat kursierten noch hässlichere Inhalte. Zu extrem, um sie zu beschreiben.

„So etwas Schlimmes hab ich noch nicht erlebt“

„Ich bin seit 37 Jahren Polizist, war 20 Jahre auf Streife, aber so etwas Schlimmes habe ich noch nie erlebt“, sagte am Freitag Rainer Peltz, stellvertretender Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) dieser Zeitung. Er hofft, dass es sich um einen Einzelfall handelt. „Polizisten müssen über jeden Verdacht erhaben sein, fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen in den eigenen Reihen zu dulden“, wetterte GDP-Landesvorsitzender Arnold Plickert.

Der Haupttäter – ein 19-Jähriger – ist suspendiert worden. Er darf nicht mehr Polizist werden. Aber offenbar ist der Kreis der Verdächtigen größer. Insider erzählten von mindestens drei weiteren möglichen Tätern aus dem Kurs, die nun zunächst „als Zeugen“ vernommen würden. Weitere Suspendierungen seien nicht ausgeschlossen.

Nur einer zeigte Zivilcourage

Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach erklärte, nur drei oder vier Kursteilnehmer hätten zu der gemobbten Kollegin gestanden. Das bedeutet: Die meisten der aus den Polizeipräsidien Bonn, Aachen und Köln stammenden FH-Studenten haben die Hetze zwar beobachtet, aber nichts dagegen unternommen.

Immerhin: Einer der jungen Polizisten aus dem Kurs erstattete Anzeige und machte damit den Fall öffentlich. Innenminister Ralf Jäger (SPD) lobt die „Zivilcourage“ dieses Polizeianwärters. Korpsgeist, also das Zusammenhalten von Kollegen um jeden Preis, sei völlig unangebracht, findet der Minister: „Wenn Straftaten innerhalb der Polizei begangen werden, dann gibt es keine Neutralität, keine Kollegialität, sondern nur einen Weg: Anzeige.“

Jäger sprach auch mit dem Opfer über dessen langes Leiden. „Sie hat ihre positive Einstellung zur Polizei und zu ihren Kollegen behalten“, sagte Jäger anschließend. Und dass Migranten in der Polizei sehr willkommen seien.

Seit 2012 bekräftigt NRW den Willen, Bürger mit ausländischen Wurzeln für den Polizeiberuf zu motivieren. Deren Sprachkenntnisse und kulturellen Erfahrungen seien wichtig. Von den rund 1400 im vergangenen Jahr in NRW vereidigten Polizisten hatten 161 einen Migrationshintergrund.

Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Dass Rassisten bei der Polizei nichts verloren haben, ist klar. Dennoch hatte der nun suspendierte Polizeianwärter das dreitägige Bewerber-Auswahlverfahren überstanden, ohne als Ausländerhasser aufzufallen. Was die Frage aufwirft: Werden dort politische Einstellungen überhaupt überprüft?

„Die angehenden Polizisten müssen unterschreiben, dass sie für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten“, erklärt Victor Ocansey vom Landesamt für Ausbildung der Polizei (LAFP) in Selm. In Interviews werde die „Werteorientierung“ der Bewerber abgefragt. „Mit Fragen, die Rückschlüsse auf grundsätzliche Einstellungen zulassen“, so Ocansey.

Interesse am Polizeiberuf ist ungebrochen

Das Interesse am Polizeiberuf ist in NRW ungebrochen. Die Zahl der Bewerber liegt bei rund 8000 im Jahr, so das NRW-Innenministerium – bei aktuell 1500 Einstellungen im Jahr. Zwischen neun und zwölf Prozent der neu vereidigten Polizisten haben ausländische Wurzeln.

Bewerber müssen Deutsche oder EU-Bürger sein, dürfen keine Vorstrafen haben, sollten sportlich sein und in der Regel mindestens die Fachhochschulreife haben. Das Bachelor-Studium beginnt im September und dauert drei Jahre. Vom ersten Tag an erhalten die Anwärter rund 1000 Euro im Monat.

Das Auswahlverfahren ist anspruchsvoll. Zunächst müssen die Bewerber einen PC-Test absolvieren, in dem es u.a. um Gedächtnisleistung und Rechtschreibung geht. Nach ärztlicher Untersuchung geht es ins Assessment-Center mit dem Test der „sozialen und kommunikativen Kompetenzen“.