Veröffentlicht inPolitik

Hühnermast in NRW – Ein Stall für 40.000 Vögel

Hühnermast in NRW – Ein Stall für 40.000 Vögel

54362663.JPG
Foto: Matthias Graben
Gerade im Norden NRWs setzen zahlreiche Landwirte auf die Hühnermast als zweites Standbein. Sie sagen: Sollten die Bestimmungen für Massentierhalter tatsächlich verschärft werden, wie es NRW plant, sei das Geschäft für viele von ihnen kaum noch lohnenswert.

Steinfurt. 

Überall zuckt es, flattert es, scharrt es. Wie ein riesiger, lebendiger Teppich wogt die piepende Hühnermasse über den Hallenboden. Es riecht nach Sägespänen und Ammoniak, Staub liegt in der Luft. An schnurgeraden Leitungen hängen Futtertröge und hunderte Wasserbehälter, um die sich mehr als 40.000 Vögel scharen. 30 bis 42 Tage leben sie, dann endet ihr Dasein in der Schlachterei.

Füttern, tränken, Tag-Nachtrhytmus – alles automatisch

Zwei solcher Hühnermastställe, jeder mit einer Fläche von 90 mal 20 Metern, hat Landwirt Frank Schulze Severing im westfälischen Steinfurt, insgesamt 80 000 Hühner. Ein paar von ihnen beäugen gerade einen toten Artgenossen, der zwischen ihnen liegt. „Vielleicht war’s zu viel Aufregung“, kommentiert ihr Halter. Eine Ausfallquote von unter einem Prozent habe seine Anlage – „besser als in manchen Biobetrieben“, sagt Schulze Severing, der offen Einblick in seinen Betrieb gewährt. Wie in jenen Schock-Aufnahmen von konventionellen Mastanlagen sieht es hier nicht aus. Die 20 Tage alten Tiere, zuchtbedingt wenig befiedert, wirken gesund, der Stall gepflegt. Wie ein Industriebetrieb, eine Fabrik funktioniert die Aufzucht: Sieben Mal pro Jahr werden Küken aus den Niederlanden geliefert. Füttern, tränken, Tag-Nachtrhythmus – alles passiert automatisch und computerüberwacht.

2009 hat Frank Schulze Severing die Ställe gebaut. Vorher gab es auf dem Hof, seit Generationen in Familienbesitz, nur Ackerbau und Schweine. Damit lässt sich nicht mehr viel verdienen, das Höfesterben in der Region zeugt davon. Der 48-Jährige ist nicht der einzige hier, der nun auf Huhn setzt. 41 Anlagen mit 2.565.738 Mastplätzen gibt es im Kreis Steinfurt. Allein in den letzten drei Jahren wurden mindestens 15 weitere Anlagen genehmigt. Immer neue Großställe werden gebaut, vor allem im Norden NRWs.

Verdienst pro Huhn: zehn bis 15 Cent

Zehn bis 15 Cent verdiene er an einem Huhn, da lohne sich nur die Massenhaltung, sagt Frank Schulze Severing. „Klar würde ich auch weniger Hühner auf mehr Fläche halten und die Tiere länger leben lassen. Aber dann muss der Verbraucher bereit sein, mehr für sein Fleisch zu zahlen.“

Von der Idee des NRW-Landwirtschaftsministers, die Mastzeiten zu verlängern, hält Schulze Severing nicht viel. „Die Grünen sind da betriebsfremd. Wenn ich 50 Tage und mehr mäste, brauche ich auch größere Futtermengen und viel mehr Energie. Das ist ja dann nicht umweltfreundlich.“ Wahr ist aber: Eine längere Mastzeit würde es erlauben, auf Antibiotika weitgehend zu verzichten. In der üblichen 30-tägigen „Schnell-Mast“ erkranken viele Tiere und brauchen Medikamente. Das bedeutet aber nicht, dass das Fleisch schlachtreifer Hühner grundsätzlich Antibiotika-belastet ist.

Bestimmungen könnten strenger werden

Manchen Konsumenten plagt Unbehagen ob dieser Geflügel-Industrie. In diversen Länder-Landwirtschaftsministerien diskutieren Experten darüber, wie diese Entwicklung gestoppt werden könnte. NRW zielt darauf, dass große Ställe künftig mit teuren Filteranlagen aus- beziehungsweise nachgerüstet werden müssen. Weil auch das größte „Geflügelland“ Niedersachsen nun eine rot-grüne Regierung hat, könnten sich die Länder leichter auf weitere Nadelstiche gegen die Hähnchenproduzenten einigen.

Derzeit ist bei Ställen über 40 000 Tieren eine aufwändige Umweltverträglichkeitsprüfung mit Bürgerbeteiligung Pflicht. Diese Grenze könnte auf 20 000 Tiere gesenkt werden. Auf der Kippe steht auch das Privileg für Landwirte, auf eigenem Grund ohne hohe bürokratische Hürden Ställe bauen zu dürfen. Zumindest für Mega-Ställe soll es kein Privileg mehr geben. Ob Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) das allerdings mitträgt, ist mehr als zweifelhaft.

Frank Schulze Severing fürchtet: Sollten die Bestimmungen für den Stallbau strenger werden, würde sich sein Geschäft kaum noch lohnen. „Wahrscheinlich würden meine Ställe schon nicht mehr so genehmigt werden, wenn ich die jetzt bauen würde“, schätzt er. Überhaupt – die Diskussion um Massentierhaltung nervt ihn: „Da wird doch immer eine andere Sau durchs Dorf getrieben.“

NRW-Landwirtschaftsminister Johannes Remmel findet gegenüber dieser Zeitung deutliche Worte zum Thema Massentierhaltung: „Die Politik der Bundesregierung und des Deutschen Bauernverbandes ist meiner Ansicht nach gescheitert. Denn diese Politik setzt einzig auf Größe und Wachstum. Dabei auf der Strecke bleiben Tierwohl und Umweltverträglichkeit. Die Folgen sind das routinemäßige Verstümmeln von Tieren, Schwänze kupieren, Schnäbel kürzen, Kastrieren ohne Betäubung.“

Remmel weiter: „Unsere Antibiotikastudien haben gezeigt, dass neun von zehn Masthühnern im Laufe ihres kurzen Lebens in Kontakt mit Antibiotika kommen. Das ist auch eine Folge der Industrialisierung der Landwirtschaft. Denn ohne massiven Medikamenteneinsatz können viele Tiere überhaupt nicht mehr bis zur Schlachtreife gebracht werden.“

Sechs Forderungen an den Bund

Sechs Forderungen formuliert Remmel an die Bundesregierung:

  1. „Durch die Änderung des Bau- und Immissionsschutzrechts müsse die Entstehung weiterer Groß- und Megaställe insbesondere im Außenbereich verhindert werden.
  2. Das Tierschutzgesetz und die auf ihm beruhenden Haltungsverordnungen müssten grundlegend geändert und an dem grundgesetzlich verankerten Staatsziel des Tierschutzes ausgerichtet werden.
  3. Der Einsatz von Medikamenten, insbesondere von Antibiotika, müsse drastisch reduziert und auf das absolut notwendige Minimum begrenzt werden, um die weitere Ausbreitung von gefährlichen Resistenzen wirksam zu bekämpfen.
  4. Um die Ausbreitung von Bioaerosolen und gefährlichen Keimen aus Ställen zu verhindern, müssten die Tierhaltungsanlagen Schritt für Schritt, beginnend mit den größeren Anlagen, mit entsprechenden Filtern ausgerüstet werden.
  5. Anstatt die Orientierung am Weltmarkt als Ziel zu formulieren, wie dies die Bundesregierung mache, müsse auf regionale Kreisläufe und einen Verbund zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern gesetzt werden. Daher müssten die Exportsubventionen abgeschafft werden.
  6. In Europa müsse sich die Bundesrepublik als Motor für ein stärkeres „Greening“ der Agrarpolitik und für mehr Tierschutz verstehen. Agrarzahlungen aus Steuermitteln müssten an öffentliche Leistungen geknüpft werden.“