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Wohl fast jede dritte Turnhalle in NRW vom Pfusch betroffen

Wohl fast jede dritte Turnhalle in NRW vom Pfusch betroffen

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Foto: Klaus Pollkläsener
Die Decke als Risiko: Bis zu 30 Prozent der Turnhallen in NRW könnten laut Experten vom Pfusch bei der Anbringung von Deckenplatten betroffen sein.

Ruhrgebiet. 

Die Antwort auf die Frage, wie in den 60er-Jahren Zwischendeckenplatten in Turnhallen befestigt werden mussten, fand Andreas Grosse-Holz zu Hause. Unter alten Lehrbüchern, die er sich aufgehoben hatte, in einer „Baukonstruktionslehre“ von 1953 („Ein Nachschlagewerk für den Bauschaffenden. 512 Seiten mit 820 Tabellen und 10 250 Zeichnungen“). Da waren sie, auf Seite 73, unter „Holzverbindungen nach DIN 1052“ in Abbildung 7: Da waren Nägel schräg ins Holz einer solchen Konstruktion getrieben. „Wie sich das als Tischler gehört“, sagt Grosse-Holz, Leiter des Technischen Gebäudemanagements der Stadt Bochum – und früher mal Tischler.

Es ist der erste Hinweis, dass tatsächlich Pfusch am Bau dafür verantwortlich ist, dass landesweit hunderte Turnhallen gesperrt sind: Sie stehen unter Verdacht, dass nur glatte und senkrecht eingeschlagene Nägel die Holzwolleplatten halten – und im schlimmsten Fall auch nicht mehr. Deshalb jedenfalls fiel am 3. Juli in einer Bochumer Turnhalle eine Platte auf den Boden und löste aus, dass ganz NRW jetzt auf Leitern steigt und in dunkle Winkel guckt: wie die Vorfahren bauten. Essen etwa versucht, um Sperrungen herumzukommen, hat aber bereits „teilweise zusätzliche Nachbefestigungen mit Schrauben“ angekündigt. Bei Neubauten sind heute Akkuschrauber und Kreuzschlitzschrauben vorgeschrieben.

Dutzende betroffene Turnhallen im Ruhrgebiet

Im Ruhrgebiet sind es jetzt: 27 gesperrte Hallen in Bochum, 24 in Gelsenkirchen, sechs in Datteln, fünf in Herne, vier in Gladbeck, drei in Recklinghausen, drei in Lünen, eine in Mülheim. Und ansonsten: 30 in Solingen, elf in Krefeld. Heiligenhaus, Olpe, Attendorn, Köln, Wegberg, Münsterland… Die Zahl für Nordrhein-Westfalen ist nicht bekannt, das Land hat zwar die Kommunen angewiesen, die Hallen zu überprüfen, lässt sich die Fälle dann aber nicht mehr melden.

Es zählt natürlich schon nützliche Dinge wie die an Heiligabend geborenen Kinder (287) – vielleicht ist ja ein Heiland darunter – oder die Ausländer in NRW, die die Staatsangehörigkeit eines der Fußball-WM-Teilnehmer von 2014 haben (635.077) – aber eine landesweite Seuche wie gesperrte Turnhallen zählt es nicht, wo für Tausende Kinder und Vereinsmitglieder der Sport ausfällt und den Städten hohe Kosten entstehen. „Eine Statistik . . . ist für unser Haus nicht zielführend, da der Eigentümer/Verfügungsberechtigte der Turnhallen hier in der Verantwortung steht und geeignete Maßnahmen ergreifen kann“, so ein Sprecher des NRW-Bauministeriums: „Eine Statistik über Fallzahlen von falsch ausgeführten Nagelverbindungen führen hier nicht zu neuen Handlungsempfehlungen oder gar Anordnungen.“

Hersteller kennt das Problem

Die Hersteller solcher Platten kennen das Problem schon länger. „Uns sind Fälle bekannt, bei denen sich Decken gelöst haben, weil Handwerksfirmen normale Nägel benutzt und gerade eingeschlagen haben“, sagt Christoph Ohnweiler, der Sprecher des großen Heraklithplatten-Herstellers „Knauf Insulation“ aus Bayern. Denn das geht erstens schneller, ist zweitens einfacher und drittens nicht so anstrengend wie schräges Nageln. Greifbar für den mutmaßlichen Pfusch ist aber zumindest in den Bochumer Fällen niemand mehr: Die Baufirma aus Dortmund gibt es nicht mehr, die die Hallen hier einst schlüsselfertig hochzog.

Andreas Grosse-Holz, der Mann mit dem alten Buch, hat jedenfalls seit Tagen auch noch Telefondienst: Alle möglichen Städte rufen an, die befürchten, hinter ihren Zwischendecken sehe es auch finster aus. Gehe er nach den Anrufen, sagt Grosse-Holz, dann müssten 10 bis 30 Prozent aller Turnhallen betroffen sein. Und gerade hat die Frage auch die Grenzen von NRW überschritten: Einer der letzten Anrufer war Lörrach. Aus naheliegenden Gründen: Man nennt sich auch gern „Sportstadt Lörrach“.