Veröffentlicht inPolitik

Erbitterter Juristenstreit über Renten für NS-Opfer

Erbitterter Juristenstreit über Renten für NS-Opfer

27398396-2948--656x240.jpg
Foto: WAZ FotoPool
Der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse hat mehr getan als seine Juristen-Kollegen: Er hat bei der Frage nach Rentenansprüchen für ehemalige Getto-Insassen vor Ort recherchiert und sich nicht auf Fragebögen verlassen. Der Streit zwischen den Juristen hat nun den Landtag erreicht.

Düsseldorf/Essen. 

Der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse vom Landessozialgericht (LSG) in Essen liegt mit vielen seiner Juristenkollegen im Clinch. Der streitbare 45-jährige Jurist aus dem Ruhrgebiet ist die Hauptfigur in einem seit Jahren schwelenden Streit über die Nazi-Vergangenheit, eine Entschädigung für jüdische Arbeiter in den damaligen Gettos sowie über die Frage, wie aktiv ein Richter für Gerechtigkeit kämpfen darf.

Anders als seine Kollegen verließ sich Renesse bei seinen Urteilen über Rentenansprüche für ehemalige Getto-Insassen nicht nur auf anonyme Fragebögen, sondern befragte die Opfer persönlich. Fast alle Anträge waren zuvor abgelehnt worden. Die Überlebenden hatten die komplizierten Schreiben aus Deutschland meist nicht verstanden. Renesse revidierte viele Entscheidungen der Richter des Landessozialgerichts in NRW. Um Überlebenden zu ihrem Recht zu verhelfen, reiste er beispielsweise zu Befragungen nach Israel.

Vorwürfe: Kungelei und Urkundenvernichtung

Das hat einigen Richterkollegen vielleicht nicht gepasst. Die Vorwürfe, die Renesse jetzt anderen Juristen macht, wiegen schwer. Von Kungelei ist die Rede, Urkunden seien unterdrückt und vernichtet worden, der Sozialrichter erzählt von Geheimtreffen und Absprachen. Zudem seien Persönlichkeitsrechte missachtet worden, die richterliche Unabhängigkeit sei beschnitten und das Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Der Streit hat nun den Landtag erreicht.

Dem Bundessozialgericht habe Renesses Vorgehen immer gefallen, dem Landessozialgericht NRW nicht, sagt sein Anwalt Thomas Giesen. Immer habe er Bestnoten erhalten, als Renesse jedoch Anfang dieses Jahres befördert werden sollte, sei er plötzlich schlecht bewertet worden, sodass daran nicht mehr zu denken war. Von den Verfahren um die „Getto-Renten“ habe ihn das Gericht ebenfalls abgezogen.

Das Justizministerium, der Bund Deutscher Sozialrichter (BDS) und der Bund der Richter und Staatsanwälte in NRW weisen die Anschuldigungen entschieden zurück. Die Vorwürfe „entbehren jeder Grundlage“, heißt es in einer Mitteilung des BDS. Die Kritik komme von einem Richter, der sich in seinen „persönlichen Karriereerwartungen enttäuscht sieht“, steht dort weiter.

Renesse fordert Untersuchungsausschuss

Renesse selbst darf sich zu dem Thema nicht mehr öffentlich äußern, wie er sagt. Zunächst hatte er ein dienstliches Verfahren angestrengt – ohne Erfolg. Auch eine Anzeige gegen den Vizepräsidenten und den Personaldezernenten des LSG liegt inzwischen vor, wie die Staatsanwaltschaft Essen auf dapd-Anfrage bestätigt.

In einem Brief an den Präsidenten und Abgeordnete fordert Renesse einen Untersuchungsausschuss zu seinem Fall. Die oppositionelle CDU beantragte zunächst einmal eine Sondersitzung des Rechtsausschusses am Dienstag (22. November, 10.00 Uhr). Die CDU will auch die Rolle von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) klären.

Ob Renesse persönlich im Landtag erscheint, ist unklar. Die Geschäftsordnung sehe keine Einladung des Richters vor, heißt es aus dem Landtag. Auch für das Justizministerium fehlt es an der rechtlichen Grundlage für eine Teilnahme, wie ein Sprecher sagt.

Bis heute sehe er sich persönlichen Anfeindungen ausgesetzt, beschwert sich Renesse. Auch das NRW-Justizministerium wisse von den Vorwürfen, habe aber nicht eingegriffen. Der engagierte Sozialrichter ist seiner Sache sehr sicher: „Zu den aufgeführten Tatsachen habe ich urkundliche Beweise.“ (dapd)