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Ein Scheitern am Studium kann auch Chance sein

Ein Scheitern am Studium kann auch Chance sein

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Foto: Jakob Studnar
Die Zahl der Erstsemester steigt, doch ein knappes Drittel wirft nach wenigen Semestern das Studium hin. Für viele ist es eine schwere, doch am Ende richtige Entscheidung. Drei Beispiele.

Essen. 

„Lern’ etwas Ordentliches“ lautet häufig der Rat, wenn Jugendliche über ihre berufliche Zukunft nachdenken. Doch was ist „etwas Ordentliches“? Fast die Hälfte eine Jahrgangs wählt nach der Schule ein Studium. Mit guten Gründen: Die Arbeitslosigkeit unter Aka­demikern ist mit etwa 2,5 Prozent gering, viele finden nach dem Abschluss rasch einen Job.

Zwar steigt die Zahl der Erstsemester von Jahr zu Jahr, doch viele schmeißen nach ein paar Semestern das Studium wieder hin – in manchen Fächern fast die Hälfte. Der schwere Schritt, der Uni den Rücken zu kehren, muss aber kein Scheitern bedeuten, sondern kann der Beginn einer beruflichen Karriere sein. Denn weil ihnen Azubis fehlen, buhlen viele Unternehmen um Abbrecher.

Ausbildung zur Kauffrau statt Sprachstudium

Die 23-jährige Tiziana Belmonte schrieb sich nach dem Abi an der Ruhr-Uni Bochum für Romanische Philologie ein, studierte Spanisch und Italienisch. „In der Schule ­haben mir Sprachen immer gelegen, also lag die Entscheidung ­nahe“, erzählt sie. Doch schon bald merkte sie: das ist nichts für mich! So viel Theorie, so viel Grammatik, so wenig Praxis. „Das hat mich ­enttäuscht und demotiviert.“ Als sie bemerkte, wie lustlos und ­gelangweilt auch ältere Semester den Seminaren folgten, „habe ich neu überlegt“, sagt sie.

StudienabbrecherNach einer Beratung bei der ­Industrie- und Handelskammer (IHK) verschickte sie Bewerbungen. Inzwischen ist sie im zweiten Ausbildungsjahr als Kauffrau für Marketingkommunikation. „Das war die richtige Entscheidung“, sagt sie heute. „Es macht mir unheimlich Spaß.“ Und ihre Sprachkenntnisse kann sie gut gebrauchen. „Ich kann ja später immer noch studieren, wenn ich will.“

Besonders viele Abbrecher im Fach Bau-Ingenieur

Tiziana Belmonte ist kein Einzelfall. Bei Bachelor-Studenten liegt die Abbrecherquote nach Zahlen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschafts­forschung (DZHW) bei 28 Prozent. Im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften schaffen es vier von zehn Studenten (39%) nicht bis zum Abschluss. Auch bei den Ingenieurwissenschaften scheitert mehr als jeder Dritte (36%). Ausreißer sind nach Zahlen des DZHW die Bauingenieure: 51 Prozent bleiben ohne Abschlusszeugnis. Nach Schätzungen von Experten brechen jedes Jahr bundesweit rund 100.000 junge Menschen ihr Studium vorzeitig ab.

Genau diese Klientel nehmen die Unternehmen verstärkt ins Visier. „Viele Betriebe greifen gerne auf Studienabbrecher zurück“, sagt ­Ulrich Ernst, Geschäftsbereichs­leiter berufliche Bildung bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet, dieser Zeitung. „Sie haben Lebenser­fahrung und sind qualifiziert.“

Studienberater zeigen Alternativen auf

Die IHK arbeitet bereits eng mit Hochschulen und Studienberatern zusammen, um einen möglichst reibungslosen Kontakt herzustellen. „Wir zeigen den jungen Leuten Alternativen auf, beraten sie und vermitteln Bewerbungsgespräche“, sagt Ernst. Seit Anfang 2013 habe die IHK bereits 150 Beratungsgespräche mit Studienabbrechern geführt.

Oft werden deren Studienleistungen anerkannt und ein direkter Einstieg in die Berufsausbildung ist möglich. „Manchen empfehlen wir vorab einen Lehrgang.Was die Betriebe besonders schätzen: „Wenn ein Studienabbrecher eine neue Chance bekommt, ist er oft besonders motiviert.“

Unglücklich mit dem Studium

Auch Jens Bückner (23) hadert mit dem Studium. Im fünften ­Semester studiert er „International Management“ an der Dortmunder International School of Management (ISM). „Mein älterer Bruder hat dort studiert und mir die Sache schmackhaft gemacht“, erzählt er. Doch glücklich ist er mit seiner Entscheidung nicht. „Ich fand nie so richtig ins Studium hinein.“

Jetzt sucht er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann oder zum Industriekaufmann. „Mir fehlt die Praxis, ich möchte etwas berufsbezogenes machen“, sagt er.

Auszubildender mit 27 Jahren

Florian Bockermann brauchte etwas länger, bis der Groschen fiel. Er studierte Fahrzeugtechnik an der Fachhochschule Dortmund und fand erst mit 27 Jahren den Absprung. „Irgendwann merkte ich, dass ich meiner Zukunft selbst im Wege stehe und musste mir eingestehen, dass ich mein Studium nie beenden würde.“ Seit einem Vierteljahr ist er in der Ausbildung zum Außenhandelskaufmann in Bochum. „Die haben noch einen Azubi in meinem Alter.“

Keiner der Drei bereut den Schritt. Aber sie sagen: Nein, die Schule hat uns nicht genügend ­darauf vorbereitet, wohin die Reise nach dem Abi geht.