Veröffentlicht inPolitik

Das Zeugensterben – Tod einer 20-Jährigen schockt NSU-Ausschuss

Zeugensterben – Tod einer 20-Jährigen schockt NSU-Ausschuss

74817648-1008.jpg
Foto: picture alliance / dpa
Der Fall Kiesewetter ist der rätselhafteste der NSU-Mordserie. Kurz vor seiner Aussage wurde ein Neonazi-Aussteiger tot aufgefunden. Nun starb seine Freundin.

Berlin. 

Der wohl letzte Mordfall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) fiel aus der Reihe. Die Polizistin Michèle Kiesewetter war anders als die anderen Opfer: Sie war keine Migrantin. Das Motiv für die Tat in Heilbronn liegt im Dunkeln. Florian Heilig, ein 21-jähriger Aussteiger aus der Neonazi-Szene, soll etwas über den Mord gewusst haben. Aber der Zeuge wurde im September 2013 in Stuttgart verbrannt in einem Auto gefunden. Offiziell: Selbstmord.

Am vergangenen Samstag starb auch seine Freundin – laut Obduktion an einer Lungenembolie und als Spätfolge eines leichten Motorradunfalls. Vor dem Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag hatte die Frau zu Protokoll gegeben, dass sie sich bedroht fühle. Heiligs Eltern behaupten, auch ihr Sohn sei unter Druck gesetzt worden.

Viele Fragen zum Mord an Kiesewetter

Der Fall Kiesewetter gehört zu den rätselhaftesten der NSU-Mordserie. Wann immer die Hoffnung auf eine Erklärung aufkam, gab es Tote.

Aufschluss hatte man sich auch von Thomas Richter erhofft, V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz. Deckname: „Corelli“. Er starb in seiner ostwestfälischen Wohnung an den Folgen einer unerkannten Diabetes. Er zählt zu den Mitbegründern eines Ku-Klux-Klan-Ablegers, zu dem auch Ex-Kollegen Kiesewetters gehörten. Ein Sonderermittler des Bundestags geht dem Fall „Corelli“ nach.

Schon bevor der NSU aufflog, hatte Heilig gegenüber Mitschülern erklärt, dass Neonazis 2007 auf Kiesewetter geschossen hätten. Man hat es ihm nicht geglaubt und auch später für Prahlerei gehalten, als er von einem gewisse „Matze“ und einer „Neoschutzstaffel“ (NSS) sprach, die den Mord an Kiesewetter unterstützt habe.

Heilig starb, als er vernommen werden sollte

Schon immer wurde gefragt, wie der NSU auf seine Opfer gekommen ist, wer sie ausgespäht hat und ob er Unterstützer hatte. Führt eine Spur nach Baden-Württemberg?

Heilig sollte am 16. September 2013 vernommen werden. Am Vorabend erhielt er einen Anruf, der ihn „total verstört“ habe, wie sich die Eltern erinnern. Am nächsten Tag fand man seine Leiche in einem ausgebrannten Auto in Stuttgart. Er war lebendig verbrannt. In seinem Magen fanden die Ärzte einen Cocktail verschiedenster Medikamente.

Doch innerhalb eines Tages kamen die Ermittler zum Ergebnis: Selbstmord. Motiv: Liebeskummer. Der Fall ging zu den Akten.

März 2015: Der Stuttgarter Landtag befasst sich mit dem Vorgang. Die Abgeordneten hören Heiligs Eltern an, beginnen, Fragen zu stellen: Wie viel Zeit ihm geblieben war, um nach dem Medikamenten-Cocktail das Auto anzuzünden? Warum weder sein Handy noch sein Notebook untersucht wurde? Im ausgebrannten Wrack war im Nachhinein sogar noch eine Waffe gefunden worden.

„Matze“ von der Bundeswehr

Nachdem die Parlamentarier auf den Busch klopfen, findet die Polizei die Identität von „Matze“ heraus: Er war Soldat der Bundeswehr. Auch die „NSS“ wird plötzlich bestätigt. Das schlägt – bis nach Berlin – Wellen. Clemens Binninger, gelernter Polizist und ehemals CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, ist wie elektrisiert.

Der Fall Kiesewetter lässt ihn seit Jahren nicht ruhen. „Es gibt noch viele offene Fragen“, erklärte er dieser Redaktion. Die Abgeordneten nehmen am Ende Kontakt zu Heiligs Ex-Freundin auf und hören die 20-Jährige an. Zur Aufklärung kann sie offenbar wenig beitragen, fühlte sich aber bedroht. Befürchtete die rechtsextreme Szene, dass Heilig sich der Freundin anvertraut hatte?

Wenn, dann hat auch sie ein Geheimnis mit ins Gab genommen.