Veröffentlicht inPanorama

Wie „Herta“-König Schweisfurth zum Bio-Pionier wurde

Wie „Herta“-König Schweisfurth zum Bio-Pionier wurde

1_Vom_Wurstkoenig_zum_Bio_Pionier.jpg
Vom Wurstkönig zum Bio-Pionier - Karl Ludwig Schweisfurth Foto: WDR/Broadview TV/Simon Brucker
Karl Ludwig Schweisfurth war ein Mann des Wirtschaftswunders. Er demokratisierte die Fleischwurst zum Massenprodukt. Dann kehrte sich der Erfolg gegen ihn.

Köln/Herten. 

Was macht eine gute Dokumentation aus? Schöngeister freuen sich über eine neuartige Bildsprache. Mindestens genauso wichtig sind Informationen, die dem Publikum neu sind, oder Schlussfolgerungen, die es schlauer machen – im günstigsten Fall gar beides. Das Porträt über Hertens ehemaligen Wurstkönig Karl Ludwig Schweisfurth mag in ästhetischer Hinsicht konventionell daherkommen. Dafür bringt der 45-minütige Film Erkenntnisgewinne.

Filmemacher Matthias Schmidt verspricht mit dem Titel „Vom Wurstkönig zum Bio-Pionier – Karl Ludwig Schweisfurth“ die Geschichte einer Wandlung. Ein Mensch wandelt sich in der Regel dann, wenn er eine Krise durchlebt – um nicht zu sagen: durchlitten – hat. Genau das war bei dem heute 84 Jahre alten Unternehmer der Fall. Er begründete, ähnlich wie Paderborns ebenfalls vom WDR porträtierter Computer-Pionier Heinz Nixdorf, das bundesdeutsche Wirtschaftswunder – und wäre am Ende beinahe dessen Opfer geworden.

Handwerkersohn wird moderner Manager

Die Geschichte der Schweisfurth trägt durchaus Buddenbrook’sche Züge. Ein Familienbetrieb aus dem nördlichen Ruhrgebiet wächst über Generationen. Das alte, vergleichsweise kleine Betriebsgelände mit seinem Nebeneinander verschiedener architektonischer Stile zeugt davon. Und dann kam, nach dem Zweiten Weltkrieg, Juniorchef Karl Ludwig Schweisfurth.

Er schafft den Aufstieg vom Handwerkersohn zum studierten Manager. Karl Ludwig Schweisfurth interpretiert die traditionellen Lehr- und Wanderjahre des Metzgerhandwerks komplett neu.

Luxus-Lebensmittel wird für alle erschwinglich

In den USA, in Chicago, begeistert er sich für Fleischproduktion im industriellen Maßstab. Daheim begeistert der Junior den Senior.

Und damit begründeten beide das „Herta“-Imperium. Ihre vakuumverpackte Fleischwurst ist das Wirtschaftswunder zum Essen: Das einstige Luxus-Lebensmittel Fleisch wird demokratisiert, es ist plötzlich, vakuumverpackt und gut gekühlt, für alle erschwinglich.

Doch der Erfolg hat seinen Preis. Schweisfurth spürt Innovations- wie Preisdruck durch die Konkurrenz. Dem Qualitätsfanatiker wird sein Produkt fremd, und seine Familie entfremdet sich von ihm. Zur Ersatzfamilie werden seine Mitarbeiter, die er mit demokratisch einheitlicher Werksmöblierung und Kunst in der Fabrik beglückt. Und dann, 1984, verkauft der Patriarch den Familienbetrieb klammheimlich an den Lebensmittel-Multi Nestlé. Familie wie Mitarbeiter sind entsetzt.

Er weiß, was er tut – und er tut, was er weiß

Karl Ludwig Schweisfurth seinerseits erfindet sich neu als Öko-Bauer im Bayerischen. Die Wandlung hat viele Konsequenzen – für ihn und für seine Familie, aber auch für die Lebensmittelwirtschaft. Schweisfurth erweist sich im Film als auskunftsfreudiger Plauderer, den zweierlei auszeichnet. Er weiß, was er tut, und zudem spricht da einer, der sich selbst stets treu blieb.

Fazit: Doku in Bestform. Das Porträt erzählt von einer persönlichen Wandlung und vom gesellschaftlichen Wandel.

WDR, 19. Juni, 20.15 Uhr