Veröffentlicht inVermischtes

Wie brachten Sie den Blues in die DDR, EB Davis?

Wie brachten Sie den Blues in die DDR, EB Davis?

Vor dem „Quasimodo“, Berlins langlebigstem Jazzclub, steht ein schwarzer Mann in edlem Zwirn mit Designerhut. Ebylee „EB“ Davis (71) ist ein international bekannter Bluessänger. Nach Berlin kam er vor über 30 Jahren als Spion für das US-Militär. Was er dabei erlebt hat, ist beinahe zu unglaublich, um wahr zu sein. Davon erzählt jetzt der Dokumentarfilm: „How Berlin got the Blues“. Uns hat er seine Geschichte vorab erzählt.

Mr. Davis, Sie leben seit fast 32 Jahren in Berlin. Sind Sie ein Berliner?

Nee, in meinem Herzen bin ich immer noch Amerikaner.

Was macht denn einen Berliner aus?

(lacht). Die große Schnauze. Die liebe ich. Ich kam direkt aus New York City nach Berlin. Dort gibt es diese große Schnauze auch. Man muss sich Zeit nehmen, die Menschen dahinter kennenzulernen. Und in Berlin gibt es viele nette.

Als die US-Armee Sie in den 80ern nach Berlin geschickt hat, da waren Sie alles andere als begeistert.

Berlin lag ja damals noch hinter einer Mauer. Und wer wollte da schon freiwillig hin? Ich nicht. Am Ende war es natürlich gut.

Was war Ihre Aufgabe bei einer geheimen Einheit, die für die Verständigung zwischen den Alliierten zuständig war?

Ich war der Kommunikationschef. Wenn immer es Unstimmigkeiten unter den Alliierten oder mit den Deutschen gab, musste ich intervenieren.

Ein Job auf einem Pulverfass.

Kann man wohl sagen. Es war Kalter Krieg, und Deutschland stand zwischen den Fronten. Schon ein falscher Zungenschlag konnte zu Irritationen führen. Mein Job war es, die schriftliche Korrespondenz zu kon­trollieren. Oft reichte es schon, ein Wort zu verändern, um den Ton zu entschärfen.

Warum hatte man gerade Sie für den Job ausgesucht?

Das habe ich mich auch gefragt. So einen Job gab es nur einmal auf diesem Planeten. Dafür konnte man sich nicht bewerben. Unsere Einheit bestand aus vierzig Mitarbeitern. Wir gehörten zu den wenigen, die sich in der DDR frei bewegen durften. Einmal über die Glienicker Brücke, und wir waren im Osten.

In einer völlig anderen Welt?

Total. In West-Berlin konntest du für Geld alles bekommen. Tolle Häuser, schicke Autos. Im Osten gab es das nicht. Einmal war ich in einem Gebäude mit sechzehn Etagen, aber ohne Lift. Das wollte mir im Westen gar keiner glauben. Aber die Bewohner haben das Problem gelöst.

Wie denn?

Die jungen Leute aus dem Erdgeschoss sind nach oben und die älteren Leute von oben sind ins Erdgeschoss gezogen. Not hat erfinderisch gemacht.

Sie sollten im Osten auch spionieren. Gehörten solche Beobachtungen auch zu Ihrem Job?

Spionieren, dieses Wort benutzten wir nicht (). Wir haben uns umgeguckt.

Wonach haben Sie denn bei Ihren Ausflügen Ausschau gehalten?

Zum Beispiel nach Truppenbewegungen. Wir wussten ja ungefähr, wo wie viele Soldaten stationiert waren. Auf einer Reise nach Leipzig fiel uns auf, dass da plötzlich viel mehr waren. Da gingen sofort gleich alle Alarmknöpfe an.

Sie durften auch als Musiker im Osten auftreten. Ein Teil Ihres Jobs?

Das war die Idee des amerikanischen Konsulats, ein bisschen Kultur in den Osten zu bringen. Die Menschen in der DDR sollten nicht auf die Idee kommen, Amerikaner seien nur Besatzer. Musik hat eine große Rolle gespielt. Sie war ein Türöffner. Die Armee hatte eine eigene Band.

Vor welchem Publikum haben Sie gespielt?

Meistens vor russischen Offizieren oder Offizieren der Nationalen Volksarmee. Ich erinnere mich noch gut an einen Auftritt in einer Kaserne in Karlshorst. Ich glaube, die meisten von denen hatten noch nie Blues gehört (). Das werde ich nie vergessen. Du kommst in eine Halle mit 2000 Soldaten. Die saßen da stocksteif in ihren Uniformen. Vorne saß ein Captain oder so was. Und jedes Mal, wenn wir einen Song gespielt hatten, hat der beide Hände gehoben, und der ganze Saal hat geklatscht. Dann hat er die Hände gesenkt. Und es war wieder totenstill.

Das klingt ja fast nach Comedy.

Es kommt noch besser. () Neben mir auf der Bühne stand ein Dolmetscher. Nach jedem Song hat der den Text ins Russische übersetzt – in derselben Melodie, in der ich gesungen habe.

Fiel es schwer, ernst zu bleiben?

Ach, das war noch gar nix. Ich wurde ja in der DDR immer von zwei Amerikanern begleitet, auch auf der Bühne. Es war nicht nur zu meinem Schutz. Die Armee wollte auch sichergehen, dass ich keine Geheimnisse ausplaudere. Auf Toilette waren wir aber zu viert. Auch der russische Captain kam mit.

Seite an Seite, am Pissoir?

Ja, aber er durfte mich nicht ansprechen. Das war streng verboten. ()

Hatten Sie denn den Eindruck, Ihre Musik hat den Russen gefallen?

Ich glaube, viele haben das sogar genossen. Die mussten zwar auf ihren Stühlen sitzen, aber sie haben mit den Fußspitzen gewippt.

Make Blues, not War. Hatten Sie nie Angst, dass einer seine Waffe gegen Sie richten könnte?

Nein, ich habe vorher zwanzig Jahre in New York gelebt. Da sind viel schlimmere Sachen passiert.

1985 ist einer Ihrer engsten Kollegen in Berlin, Major Arthur Nicholson, getötet worden. Er wurde von einem sowjetischen Offizier erschossen.

Arthur hat sich auf ein Gelände einer sowjetischen Panzerdivision bewegt, um Panzer zu fotografieren. Wir wussten, wir durften da nicht hin. Das konnte lebensgefährlich werden.

Danach verhärteten sich die Fronten schlagartig – trotz Gorbatschow. Wie sind Sie damit umgegangen?

Meine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass die vier Alliierten an einem Tisch sitzen blieben, um darüber zu reden. Dieser Vorfall hätte einen Krieg auslösen können.

Sie waren persönlich mit Major Nicholson befreundet. Machte es Ihnen das nicht doppelt schwer?

Ja, aber in solchen Momenten musst du abwägen. Es war schrecklich, was Arthur passiert war. Aber was hätte daraus entstehen können, wenn die Alliierten aufgehört hätten, miteinander zu reden? Das wäre noch viel schlimmer gewesen.

Sie stammen aus Elaine in Arkansas. Der Name des Ortes steht für die schlimmste Form von Rassismus: 1919 wurden dort zweihundert Farmer ermordet, weil sie mehr Geld für ihre Baumwolle verlangten. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Kindheit?

Schwarze und Weiße lebten in zwei Welten. In meiner Gegend gab es zwar alles, was man brauchte, Schule, Ärzte, Lebensmittelläden. Aber wir waren dort nur unter uns. Das ist heute übrigens noch so.

In dem Film sagen Sie, Sie hätten weiße Menschen so sehr gehasst, dass Sie sich weigerten, das Bett mit weißen Bettlaken zu beziehen. Wie kann man jemanden hassen, den man gar nicht kennt?

Das habe ich mich als Kind auch immer gefragt: Wie können DIE mich hassen, wo sie mich gar nicht kennen? Aber keiner konnte mir die Frage beantworten. Und irgendwann hasst du eben zurück.

Welche Rolle hat Musik in Ihrer Kindheit gespielt?

Eine große. Meine Familie war jeden Sonntag in der Kirche. Meine Schwestern haben im Gospelchor gesungen. Ich bin nicht gerne mitgegangen. Ich war jedesmal wütend, wenn der Prediger gesagt hat, alle Menschen seien gleich. Ich fand das total verlogen. Ich habe zu Hause lieber meine Bluesplatten gehört.

Warum gerade Blues?

Der Blues hat zu mir gesprochen. Der erzählt Geschichten vom richtigen Leben. Viele behaupten ja, Blues sei eine traurige Musik. Das stimmt aber nicht. Er erzählt von guten und von schlechten Zeiten.

Und in Berlin wurden Bluesmusiker mit offenen Armen empfangen?

Nein. Es gab zwar viele Klubs wie das „Quasimodo“ oder das „A-Trane“, die sagten aber gleich: Nee, nee, nee. Bitte keinen Blues. Davon kriegen die Leute schlechte Laune. Ich glaube, die waren nur zu geizig, eine Band zu bezahlen. Meinen ersten Auftritt hatte ich in der Kneipe „Walters Land End“ in Zehlendorf. Mit einer Countryband.

Seit dem Abzug der letzten Truppen arbeiten Sie Vollzeit als Musiker. Nie überlegt, in die USA zurückzugehen?

Ich spiele ja jedes Jahr da. Aber zurückgehen? Nein. Zehlendorf ist mein Zuhause. Meine Frau ist Pianistin in meiner Band. Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich: Wow, wie kann es sein, dass eine junge weiße Frau so toll Blues spielen kann?

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie daran denken, dass Donald Trump US-Präsident werden könnte?

Jedes Mal, wenn er im Fernsehen als möglicher Nachfolger von Barack Obama genannt wird, gehe ich aus dem Zimmer und weine, weil ich nicht will, dass meine Frau das sieht.

Erinnert es Sie daran, wie es war, als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden?

War? Das Schreckliche daran ist ja: In den USA hat das nie geendet.