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WDR-Dokureihe zeigt, wie „wir vor 100 Jahren“ lebten

WDR zeichnet nach, wie „wir vor 100 Jahren“ lebten

Fahrräder brachten Bewegungsfreiheit, Frauen verlangten gesellschaftliche Freiheit, und Wandervögel wollten ein freies Leben in der Natur: WDR-Reporter Martin von Mauschwitz macht Sozialgeschichte in der Reihe „Wir vor 100 Jahren“ lebendig.

Essen/Köln. 

Gerade heute sind Fahrräder wieder schwer angesagt, ob geländegängig, motorisiert oder einfach nur stadtfein. Dass sie jedoch einmal ein Symbol neuer Freiheit, ein Symbol der neuen Zeit waren, ist uns kaum noch bewusst. So war es vor 100 Jahren, auch in NRW. Martin von Mauschwitz, bekannt als Moderator der „Aktuellen Stunde“ im WDR-Fernsehen, hat sich auf eine Reise in diese Zeit begeben. Nicht zu historischen Großereignissen, sondern in den Alltag unserer Ur- und Großeltern, zu ihrem Lebensgefühl.

Für seine fünfteilige Dokumentation „Wir vor 100 Jahren“ (WDR, freitags, 20.15 Uhr) reist Mauschwitz in die Museen des Landes, er probiert aus, was wir nur noch aus Büchern oder vom Hörensagen kennen. Er klettert auf Hochräder, backt in einem der chromblitzenden Kohleherde, die man Kochmaschinen nannte oder lässt sich auf Frack und Chapeau Claque ein, was unumgänglich für den bürgerlichen Herren war, wenn er im städtischen Theater eine der damals so beliebten Operetten sehen wollte. Eine unaufgeregte, eine gemütliche Zeitreise ist das. Aber eine mit hohem Wiedererkennungswert.

Konsumgenossenschaft in Wuppertal backt 5000 Brote

Alltag um die Jahrhundertwende, das bedeutete Stadtleben, Fabrikarbeit, erste emanzipatorische Ansprüche der Frauen. 1200 Arbeiterinnen beschäftigt die Schokoladenfabrik Stollwerk in Köln. Sie sind schlechter bezahlt als die Männer und alles andere als gut angesehen. Frauen, die in Fabriken arbeiten, seien nachlässig angezogen, könnten nicht kochen, waschen oder nähen und zuhause keine Gemütlichkeit schaffen. Kein Wunder, so hieß es, dass ihre Männer abends in die Kneipe gingen.

Doch so wie die Dampfmaschinen neue Techniken in den Fabriken installieren, so verändert sich die Arbeitswelt. Aus Bauernsöhnen werden Industriearbeiter, aus Facharbeitern Hilfskräfte. Frauen verdingen sich in neuen Berufen wie Stenotypistin oder Sekretärin, bedienen die neuen Telefone und Schreibmaschinen.

Doch anders als auf dem Land oder in den Dörfern, sind die Menschen in den wachsenden Städten weniger autark. Angewiesen auf Vermieter, auf Krämer, die ihnen Lebensmittel verkaufen. In Wuppertal, beispielsweise, schließen sich Arbeiterfamilien zur Konsum-Genossenschaft Vorwärts zusammen, einer Selbsthilfeorganisation, der bald ein Viertel der Bewohner des heutigen Stadtteils Barmen angehören. 50 000 Brote backt die Genossenschaft in ihren besten Zeiten. Martin von Mauschwitz führt in die gigantischen Lagerräume der Genossenschaft, die sogar über einen eigenen Gleisanschluss verfügte.

Die ersten Jugendherbergen entstehen

Es ist eine unruhige Zeit, eine des Wandels. Die Großstädte, qualmend und dreckig, sind dem Ansturm der Arbeitsuchenden nicht gewachsen.

Und so breitet sich in der Jugend eine Gegenkultur aus, eine Utopie, die auch gelebt wird: raus aus den Städten, hinein in die Natur. Ballast abwerfend, die so genannte Freikörperkultur genießend und vor allem wandernd. Mit dieser Bewegung der „Wandervögel“ entstehen auch erste Jugendherbergen. Allen voran Burg Altena, die in ihrem musealen Teil exakt erhalten ist: mit düsterem, hölzernen Schlafsaal und harten Strohmatratzen. Karg, aber eben frei.