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Was Diabetes-Patienten mit einer Nervenschädigung tun können

Was Diabetes-Patienten mit einer Nervenschädigung tun können

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Foto: thinkstock
Ist der Blutzucker ständig zu hoch, geht das häufig „an die Nerven“. Viele Diabetes-Patienten haben eine Nervenschädigung, auch Polyneuropathie genannt. Sie wird unterschiedlich wahrgenommen: Manche spüren ein Kribbeln in den Füßen, andere empfinden dort gar keinen Schmerz. Was Experten raten.

Düsseldorf. 

Aktuelle Zahlen hat Prof. Dan Ziegler vom Institut für Klinische Diabetologie an der Heine-Universität Düsseldorf in einer Studie veröffentlicht. Danach fand er unter 1100 Menschen im Alter zwischen 61 und 82 Jahren 16 Prozent mit einer neu entdeckten „Zuckerkrankheit“ solche Nervenschäden. 14 Prozent mit einer Vorstufe von Diabetes sowie 22 Prozent mit einer bekannten Erkrankung waren betroffen.

Die Ursachen

„Eine Polyneuropathie kann viele Ursachen haben, dazu gehört unter anderem Alkoholkonsum. Häufig steckt jedoch ein schlechter Blutzuckerwert dahinter“, sagt Prof. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie im Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf.

Der erhöhte Blutzucker wirke sich auf die Nervenscheiden aus, welche die Nerven isolieren: So kommt es, dass diese zum einen ihre Rolle einbüßen können, wodurch der Mensch sein Schmerzempfinden verliert. Zum anderen ist es möglich, dass sie eingeschränkt funktionieren. „Daraufhin entsteht ein Kribbeln oder Brennen im Fuß, auch einschießende Schmerzen wie durch Stromschläge können die Folge sein“, sagt Prof. Martin. Neben dieser so genannten sensomotorischen Neuropathie gibt es auch eine autonome Form der Erkrankung, bei der die Nerven am Magen oder am Herzen betroffen sind.

Die Diagnose

Die Nervenschädigung durch den Diabetes wird laut Prof. Stephan Martin häufig mit Durchblutungsstörungen verwechselt. „Ihr Merkmal ist allerdings, dass das Kribbeln oder Brennen im Fuß nicht während der Bewegung auftritt, sondern dann, wenn der Mensch zur Ruhe kommt.“

In der Praxis bleibt diese Erkrankung häufig lange unerkannt – vor allem dann, wenn Patienten keine Schmerzen mehr fühlen. „Auch Menschen mit einem unsicheren Gang, die ein Taubheitsgefühl oder ein Kribbeln in den Füßen haben, sollten sich zum Ausschluss einer Diabeteserkrankung untersuchen lassen“, sagt die Essener Internistin und Diabetologin Dr. Helga Zeller-Stefan.

Die Gefahren

Helga Zeller-Stefan sieht viele Patienten, deren Füße stark verformt sind und dicke Hornhautschwielen als Folgen der Nervenschädigung tragen. Werden diese Veränderungen nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, können sie zum offenen diabetischen Fuß führen.

Geht das Schmerzempfinden verloren, entstehen oft schwere Wunden oder Verbrennungen. „Zu mir kam ein Mann, der barfuß über glühend heiße Fliesen gegangen war, ohne es zu spüren“, beschreibt die Düsseldorfer Diabetes-Ärztin Dr. Jolanda Schottenfeld-Naor einen Fall. Schon ein unbemerktes Steinchen im Schuh kann schlimme Folgen haben. Hinzu kommt, dass die Haut durch die Veränderungen im Nervensystem häufig brüchig wird, wodurch schneller Infektionen oder Geschwüre entstehen. Wunden an den Füßen, die nicht heilen, führen nicht selten sogar zur Amputation.

Die Vorbeugung

Diabetikern, die keine Symptome einer Polyneuropathie haben, rät Expertin Zeller-Stefan, die Füße einmal pro Jahr bei ihrem Hausarzt oder Diabetologen untersuchen zu lassen.

Dabei sollten auch die Augen, Nieren und Blutfette angeschaut werden. Generell gilt: Den Blutzucker möglichst gut einstellen lassen, um Folgeschäden des Diabetes wie die Polyneuropathie einzudämmen. Da Alkohol neben Diabetes die zweitwichtigste Ursache für die Erkrankung ist, rät Expertin Schottenfeld-Naor, darauf zu verzichten. Ihre Kollegin Zeller-Stefan betont: „Die Hausärzte spielen bei der Versorgung von Menschen mit diabetischem Fuß eine entscheidende Rolle. Sie identifizieren ,gefährdete Patienten‘ und entscheiden, wann diese in eine Fußambulanz überwiesen werden müssen.“

Anwendungen und Pflege

„Man kann seine Füße bewegen, um die Muskeln besser zu durchbluten“, sagt Jolanda Schottenfeld-Naor. Wer die Füße täglich inspiziert, bemerkt schnell kleine Druckstellen, Risse oder Veränderungen und sollte sie unverzüglich dem Arzt zeigen. Weil Diabetiker-Füße häufig trocken sind, helfen ein Bad mit Öl oder rückfettender Seife sowie eine Pflege-Salbe, um die Fußhaut geschmeidig zu halten. Massagen wirken entspannend und belebend. Scheren oder Nagelknipser sind aufgrund der Verletzungsgefahr tabu. Stattdessen können die Nägel mit einer Sandpapierfeile abgerundet werden.

„Hornhaut entfernt man am besten mit einem Bimsstein“, erklärt Helga Zeller-Stefan. Ebenso wie ihre Kollegin Schottenfeld-Naor rät sie vom Barfußlaufen ab, weil man sich schnell einen Splitter in den Fuß zieht, ohne es allerdings zu merken.

Behandlungsmöglichkeiten

„Gegen Schmerzen können Antidepressiva oder -epileptika verschrieben werden – sie haben allerdings Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Mundtrockenheit“, sagt Prof. Stephan Martin. In Studien hat er den Erfolg einer so genannten Hochtontherapie bei vielen Diabetikern festgestellt.

„Dabei werden die Muskeln über Elektroden stimuliert, die wir an den Oberschenkeln anbringen“, erläutert Martin. Er nimmt an, dass sich auf diese Weise die zentrale Schmerzwahrnehmung im Gehirn verändert. Allerdings müssen die Impulse alle zwei, drei Tage über eine halbe Stunde hinweg gegeben werden, um eine Wirkung erzielen zu können