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Warum eine Fernbeziehung die Liebe auch retten kann

Warum eine Fernbeziehung die Liebe auch retten kann

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imago73040940h~aa2e61b1-f8af-4c3f-b8b1-78f461b43bf6.jpg Foto: imago/Westend61
Fernbeziehungen sind kompliziert, aber auch aufregend. Der Paarberater Eric Hegmann verrät, was das Besondere an der Fernliebe ist.

Berlin. 

Selten ist eine Fernbeziehung freiwillig gewählt – der Beruf oder das Studium zwingen Paare oft dazu. In Zeiten, in denen im Leben Flexibilität und Mobilität gefordert sind, sind fünf Stunden Zugfahrt für ein gemeinsames Wochenende für viele Paare Alltag geworden.

Jeder achte Deutsche führt laut dem Online-Portal „Farlove“ eine Kofferliebe. Im Schnitt leben die Partner 653 Kilometer voneinander entfernt. Telefon und Computer helfen dabei, im Kontakt zu bleiben.

So lieben Fernbeziehungspaare bewusster. Die gemeinsame Zeit wird intensiver gestaltet, Alltagsprobleme bleiben oft außen vor. Für das berufliche Weiterkommen geradezu perfekt, findet Paartherapeut Eric Hegmann. Er berät seit 15 Jahren Paare in Liebesfragen. Im Interview erklärt er, warum die Fernbeziehung viele Vorteile bietet – und welche Regeln dabei eingehalten werden müssen.

Zu viel Nähe – gibt es das in Beziehungen?

Eric Hegmann: Es gibt für alles ein zuviel und ein zuwenig, aber das ist natürlich individuell. Jedes Paar findet da für sich den passenden Weg. Schwierig wird es, wenn die Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind, also ein Partner sehr viel Raum für sich und ein Partner möglichst viel gemeinsame Zeit wünscht.

Was sind die Vorteile von Fernbeziehungen?

Hegmann: Manchmal ist Sehnsucht – fast – genauso schön wie ein Wunsch, der in Erfüllung geht. Wer seinen Partner nur am Wochenende sieht, darf auch mal faul sein. Dann macht es auch gleich doppelt so viel Spaß, sich nach ein paar Tagen faulenzen wieder so richtig in Schale zu schmeißen.

Wer nicht jeden Feierabend miteinander verbringt, verpasst zwar die schönen Seiten des liebevollen gemeinsamen Alltags – aber eben auch die nervigen Routine-Streitereien. Unter der Woche ganz für sich zu sein, ist für das berufliche Weiterkommen geradezu perfekt. Sie können Überstunden machen, ohne dass jemand meckert oder dass Sie ein schlechtes Gewissen haben.

Können Fernbeziehungen eingeschlafene Liebesbeziehungen wieder auffrischen?

Hegmann: Um jemanden vermissen zu können, darf er oder sie nicht da sein. Sicher kann das in Fernbeziehungen zu Leidenschaft führen, doch das würde ich nicht romantisieren wollen, denn die meisten Fernbeziehungen in Deutschland sind nicht freiwillig gewählt, sondern durch unterschiedliche Berufsstandorte begründet.

Was braucht eine Fernliebe?

Hegmann: Viel Vertrauen, die Bereitschaft, es miteinander versuchen zu wollen, klare Kommunikationsrituale wie das tägliche Videotelefonat und für die meisten Paare die Perspektive, dass das Pendeln irgendwann ein Ende haben wird.

Vor allem junge, ledige Menschen aus Großstädten führen oft Fernbeziehungen. Stimmt dieses Klischee?

Hegmann: Viele junge Menschen ziehen aus beruflichen Gründen oder wegen ihrer Ausbildung in Metropolen. Da geschieht es häufig, dass ein Beziehungspartner nicht mitkommt oder es ihn in eine andere Stadt verschlägt.

Aber es gibt auch viele Internet-Paare, die zunächst eine Fernbeziehung führen, bevor sie sich der Liebe wegen zu einem Umzug und einem neuen Arbeitsplatz entscheiden. Wer eine Familie hat und einen neuen Job annimmt, will möglicherweise wegen schulpflichtiger Kinder oder wgen des Freundeskreises nicht umziehen und beginnt zu pendeln – statistisch einer der häufigsten Gründe für Fernbeziehungen.

Geht Fernbeziehung auch im Alter?

Hegmann: Fernbeziehungen sind im Alter recht häufig, ebenso wie LAT-Beziehungen, was Living Apart Together heißt: Zwei Wohnungen, obwohl man eine Beziehung führt. Im Alter hat das oft damit zu tun, dass man für eine neue Liebe nach einer Trennung oder Verlust eines Partners nicht bereit ist, den Freundeskreis oder die eigene Wohnung aufzugeben.

Welche Regeln müssen Fernbeziehungspaare einhalten?

Hegmann: Nutzen Sie alle Möglichkeiten der Kommunikation mit Ihrem Liebsten. Unternehmen Sie regelmäßig etwas zusammen, lassen Sie sich am Leben teilhaben: Dank Skype & Co. können Fern-Paare gemeinsam kochen, essen, Fernsehen und sogar einschlafen.

Starten Sie Projekte und schmieden Sie Zukunftspläne. Schreiben Sie gemeinsam an einem Blog oder engagieren Sie sich ehrenamtlich für den gleichen guten Zweck.

Überraschen Sie sich gegenseitig mit kleinen Aufmerksamkeiten. Das kann ein Selfie in der Mittagspause sein oder selbstgebackener Kuchen, den Sie Ihrem Partner zuschicken.

Legen Sie immer Ort und Zeit Ihres nächsten Treffens fest, damit Sie nicht ungewiss bleiben, wann Sie sich wiedersehen.

Was ist mit Romantik und Sex?

Hegmann: Sehnsucht ist gut für die Leidenschaft, aber es gibt natürlich auch das Telefon oder Sextoys für Fern-Paare, die über Fernbedienung gesteuert werden. Bei Amorelie gibt es beispielsweise solche Produkte für zwei. Erwachsene werden schon herausfinden, wie Telefonsex oder Toys für ihre Beziehung funktionieren.

Ob das befriedigend ist, muss jedes Paar für sich herausfinden. Sowohl Toys als auch Telefonsex scheinen ja für viele Paare interessant genug zu sein, das auszuprobieren.

Wie oft sollten sich Fernliebende mindestens sehen?

Hegmann: So oft sie mögen und Lust aufeinander haben. Es kann auch bei einer stressigen Arbeitswoche mal besser sein, zuhause zu bleiben. Das muss jedes Paar für sich herausfinden.

Welche Feinde gibt es in Fernbeziehungen?

Hegmann: Die eigene Fantasie. Die Ahnung, was der Partner gerade machen könnte, und die leicht zur Eifersucht wird. Dagegen hilft nur Kommunikation.

Wer leidet mehr unter der Fernbeziehung – Männer oder Frauen?

Hegmann: Das lässt sich pauschal nicht sagen und ist auch eher eine Typ- und eine Altersfrage. Häufig wünschen sich jüngere Männer eher Distanz als Frauen, später aber beharren mehr Frauen auf ihren Freiraum.

Wann sollte ich eine Fernbeziehung beenden und wieder zusammenziehen – oder mich trennen?

Hegmann: Die meisten Paare werden wohl wieder zusammenziehen, sobald die Möglichkeiten es erlauben. Wer jedoch viel körperliche Nähe benötigt, um glücklich zu sein, sollte eine Fernbeziehung sowieso besser nur auf Zeit eingehen, sonst wird die Sehnsucht zu groß.

Wenn immer mehr Menschen in Fernbeziehungen leben, verändert das die Gesellschaft?

Hegmann: Die berufliche Flexibilität zwingt viele Paare zu Fernbeziehungen. Das hat weitreichende Folgen für den Arbeitsmarkt, den Wohnungsmarkt, soziale Gefüge wie den Freundeskreis und die Familie.

Aber zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung. Die Paare, die zusammenziehen, ziehen heute wieder früher zusammen – nämlich nach etwa sechs Monaten – als noch vor einigen Jahren, wo das einige Monate länger gedauert hat.