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Ungelöster Mord von Gregory (4) wird wieder aufgerollt

Ungelöster Mord von Gregory (4) wird wieder aufgerollt

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(FILES) A picture taken on July 4, 1989 Foto: afp
Der Mord an dem vier Jahre alte Gregory Villemin zählt zu den spektakulärsten Kriminalfällen Frankreichs. 28 Jahre nach der grausamen Tat – der ertränkte Junge wurde an Füßen und Beinen gefesselt in einem Fluss gefunden – geht die Polizei neuen Spuren nach. Die Justiz ging stümperhaft zu Werke.

Paris. 

Der ungelöste Mordfall Grégory zählt zu den spektakulärsten Kriminalfällen der französischen Nachkriegsgeschichte. Das Drama in dem kleinen Vogesen-Dorf handelt von finsteren Familienfehden, stümperhaften Ermittlern und von einer Spirale der Gewalt. Die Frage aber, wer den vier Jahre alten Jungen Grégory Villemin vor 28 Jahren umgebracht hat, ist noch immer ungelöst. Trotzdem schöpfen die verzweifelten Eltern immer wieder neue Hoffnung. Sie hoffen auf ein Wunder. So wie jetzt, da die Polizei auf Geheiß des Berufungsgerichtes von Dijon die Schuhe und Kleidung des Opfers abermals unter das Mikroskop legen muss.

Die grauenvolle Tat passiert am 16. Oktober 1984 im Dörfchen Lépanges-sur-Vologne. Um viertel nach neun abends ziehen Feuerwehrleute den leblosen Körper ans Ufer der Vologne: Es ist der vermisste Grégory, die Arme und Beine gefesselt und die übers Haupt gezogene Wollmütze mit einer Schnur fest verknotet. Schon um 17.32 Uhr hat ein Bekenner, den sie in Frankreich „le corbeau“ (der Rabe) nennen, die Familie des Jungen informiert. Am Morgen danach liegt schließlich ein Brief des „Raben“ im Briefkasten. Darin steht: „Ich hoffe, du stirbst vor Trauer. Dein Geld kann dir deinen Sohn auch nicht mehr zurückgeben. Das ist meine Rache, du Blödmann.“

Jean-Marie und Christine Villemin, den jungen Eltern, sind üble Anfeindungen nicht fremd. Schon seit vier Jahren hetzt der geheimnisvolle „Rabe“ gegen sie. Und gegen die Großeltern. Mal schreibt er Briefe, mal ruft er an. Im abgeschiedenen 1000-Seelen-Dorf Lépanges kennt jeder jeden. Es herrschen nicht nur Wärme und Vertrauen. Die jungen Villemins, einfache Leute, arbeiten fleißig, haben ein Haus gebaut und fahren zwei Autos. Das erregt Neid und Missgunst. Doch bei wem steigert sich der Hass so sehr, dass der kleine Grégory sterben muss?

Vater erschießt seinen Vetter

Drei Wochen vergehen, da fällt der Verdacht auf Bernard Laroche, einen Vetter von Grégorys Vater. Doch schon nach drei Monaten setzt Jean Michel Lambert, der unerfahrene und hoffnungslos überforderte Untersuchungsrichter, den Inhaftierten mangels Beweisen auf freien Fuß. Jean-Marie Villemin hingegen nimmt am 29. März 1985 das Recht in die eigene Hand, greift zur Jagdflinte und erschießt den Vetter in Gegenwart seiner hochschwangeren Frau. Ein Mord, für die er später mit fünf Jahren Gefängnis bestraft wird.

Nun hat der nervöse Untersuchungsrichter plötzlich Grégorys Mutter im Visier. Diese, im sechsten Monat schwanger, will am 5. Juli 1985 ihren in U-Haft einsitzenden Mann besuchen. Da legen sie auch ihr Handschellen an. Zwar kommt Christine Villemin schon nach elf Tagen frei, doch die Nation verurteilt vor und ist sich sicher: Christine, das schreckliche Biest, ist die Kindsmörderin.

Justiz öffnet Akte erneut

Was für ein erschütternder Kriminalfall: Ein kleiner Junge ist tot, ein offenbar Unschuldiger ebenfalls, der eigene Vater wird selbst zum Mörder und eine Mutter steht am Pranger. Die Justiz, mit dem Latein völlig am Ende, klappt die Akte Grégory Anfang 2000 resigniert zu. Doch die Eltern, die dem grausamen Ort des Geschehens längst den Rücken gekehrt haben, lassen nicht locker, wollen endlich das Rätsel um den „Raben“ gelöst sehen. 2008 der erste Erfolg: Die Justiz öffnet die Akte erneut.

Jetzt hoffen sie auf die revolutionären Errungenschaften der Kriminalwissenschaft, auf präzise DNA-Analysen, die ehedem unsichtbare Partikelchen endlich sichtbar und in schlagende Beweislast verwandeln kann. Der Kreis der Verdächtigen beschränkt sich auf höchstens 150 Menschen.