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Wirbel um angebliche Schweige-Pflicht für Kölner Opfer

Wirbel um angebliche Schweige-Pflicht für Kölner Opfer

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fake22ab~9eb95271-b65b-4a6b-9898-8919f1f634da.jpg Foto: FMG
Ein gefälschter Schweige-Vertrag für ein Kölner Opfer schürt auf Facebook Verschwörungstheorien. Eine Bestsellerautorin war beteiligt.

Köln. 

Mitten in die Zweifel über die offiziellen Darstellungen der Polizei zu den Hergängen in der Silvesternacht verunsichert eine angebliche Verschwiegenheitsvereinbarung viele Menschen: Unbekannte haben ein Schreiben gefälscht, wonach ein Opfer der Übergriffe zu den Vorfällen schweigen muss. Dafür wurde die Popularität einer Bestsellerautorin missbraucht – und sie erhielt eine Lektion.

Schriftstellerin Katja Schneidt (45) hatte einen Hinweis erhalten und zunächst ernst genommen. Der ungeheuerliche Verdacht: Eine in der Silvesternacht schwer verletzte Frau habe in der Klinik unterschreiben müssen, nicht über die Vorgänge zu berichten. Inzwischen weiß Katja Schneidt, dass sie ausgenutzt wurde. Der Autor des gefälschten Schreibens hat sich zu erkennen gegeben. Er wollte ihren unvorsichtigen Umgang mit heiklen Themen bestrafen und entschuldigt sich nun.

Autorin bekommt oft Post von Gewaltopfern

Schneidt hat unter anderem das Buch „Gefangen in Deutschland“ geschrieben über ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt durch ihren türkischen Ehemann. Sie wird deshalb oft kontaktiert von Frauen nach Gewalt oder Missbrauch. Sie gab auf Facebook auch die Meldung weiter und forderte mögliche weitere Betroffene auf, sich bei ihr zu melden. Mehr als 17.000 Menschen haben sie abonniert. Ihr Posting löste Empörung aus und bekam noch mehr Glaubwürdigkeit, weil ihr viele Nutzerinnen in Kommentaren bescheinigten, dass sie schon Frauen nach Gewalterfahrungen geholfen habe. Tausendfach wurde ihr Aufruf geteilt.

Wenig später verbreitete sie dann ein Foto einer angeblichen Verschwiegenheitserklärung, äußerte aber bereits Zweifel an der Echtheit und löschte es auch später. Aufhalten konnte sie die Lawine damit nicht mehr. Dort hieß es, die Patientin vereinbare mit der Landesregierung Stillschweigen. Das Schreiben ist nicht nur juristisch völlig unhaltbar. Es steckt auch voller Rechtschreibschwächen und inhaltlicher Fehler: Die Patientin vereinbart auf der Vereinbarung demnach mit der Landesregierung ihr Schweigen. Als Vertragspartner wird die „Kliniken der Stadt Köln AG GmbH & Co KG“ genannt.

Das ist nicht nur eine völlig falsche Rechtsform; die Kliniken sind eine gGmbH. Einziger Gesellschafter ist auch die Stadt Köln, nicht die Landesregierung. Zudem ist der Name des Geschäftsführers falsch, beide Unterschriften sehen auch aus wie aus einer Hand. Die Kliniken bestätigten erwartungsgemäß unserer Redaktion, dass das Schreiben gefälscht ist und verweisen auf eine Erklärung auf der Internetseite. Die Empörung in der Klinik ist dem Vernehmen nach groß, dass Unbekannte auf dem Rücken der Opfer gezielt Verunsicherung schüren.

Doch zumindest der Urheber des Briefs ist gefunden: „Ich habe den Maulkorb für die Kölner Opfer gefälscht“, schreibt ein Georg Odergut auf der Seite der Ruhrbarone. Der Name könnte ein Scherz sein, darunter schrieb 2012 bereits ein „Bundesminister der Wahrheit“ auf Facebook. Der Autorin hält er vor: „Sie haben eine gefährliche Fehlinformation in die Welt gesetzt. Sie haben durch Ihr Publikum von über 17.000 Facebook-Nutzern eine Verantwortung, nicht alles ungeprüft weiterzugeben.“ Er habe sich für die drastische Variante entschieden, um ihr eine Lektion zu erteilen. An seiner Aktion gab es umgehend Kritik: „Unverantwortlich“ sei sie, da sich der gefälschte Brief nun verselbstständigt habe, kommentierte Tobias Gillen, Chefredakteur des Portals „BasicThinking“.

Unklar ist weiterhin, wer Schneidt den ursprünglichen Hinweis gegeben und die Lawine erst ins Rollen gebracht hatte.

Schneidt gab Entwarnung

Schneidt gab am späten Donnerstagabend auf ihrer Facbeookseite Entwarnung. Sie schrieb, dass ein junger Mann offenbar ein abgekartetes Spiel gespielt habe, ohne auf die Vorwürfe an ihre Person einzugehen. Sie werde am Freitag Anzeige erstatten. Screenshots ihres ursprünglichen Beitrags und der Brief wurden aber weiter verbreitet. Auf eine Anfrage unserer Redaktion reagierte sie zunächst nicht.

Am Donnerstag war bekannt geworden, dass in der Silvesternacht eingesetzte Polizisten die Lage anders beschreiben als die Polizeiführung sie bisher darstellt. Unter anderem soll es mehr Informationen über die Herkunft vieler kontrollierter Männer geben. Der Vorsitzende der DPolG Bundespolizeigewerkschaft, Ernst Walter, warf die Frage nach politischen Gründen für die Informationspolitik auf. Es müsse „dringend aufgeklärt“ werden, warum die Kölner Polizei dies nicht veröffentlicht hat, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Die Zweifel darum haben Unbekannte offenbar genutzt, um den Eindruck von Vertuschung in der Klinik zu erwecken.

*In einer früheren Version des Textes war zu lesen, der Brief stamme von Unbekannten. Das ist aktualisiert um die Reaktion von Georg Odergut. In einer weiteren Aktualisierung sind Zweifel an dem Namen in den Text eingeflossen.