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Wenn zwei Welten in einer Wohnung aufeinanderprallen

Wenn zwei Welten in einer Wohnung aufeinanderprallen

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Essen. Nach der ersten Verliebtheit kommt sie irgendwann, die Frage: Wollen wir zusammen ziehen? Dann kommt die Sache mit den Kompromissen: Er mottet seine Platten-Sammlung ein, sie verzichtet auf den Zimmerbrunnen im Schlafzimmer. Paartherapeutin Bettina Schimanski sagt: „Keine Kompromisse!“

Aus dem Kissenberg neben ihm erschallt Kampflärm: Schwerter klirren, Männer schreien, heroische Musik hebt an. Ein einziger weiterer Kanonenknall wird das Fass zum Überlaufen bringen. Jeden Abend steckt sich seine Freundin die Kopfhörer in die Ohren und dreht sich um. Nix mit kuscheln, nix mit friedlich einschlafen. Ihre Hörspiele rauben ihm den letzten Nerv. Ohne die „Drei ???“ kann sie nicht einschlafen, mit ihnen kann er es nicht.

Solche kleinen Streitpunkte kennt Paartherapeutin Bettina Schimanski aus ihrem Alltag. Immer wieder sitzen Paare in ihrer Sprechstunde und versuchen Beziehungsprobleme zu lösen, die eben auch mit dem gemeinsamen Alltag zu tun haben.

„Wenn man nicht zusammen leben kann, dann braucht man die Beziehung erst gar nicht weiterzuführen.“ Anne, 28 Jahre

„Liebe bedeutet, dass man den anderen so sein lassen kann, wie er ist“, sagt Schimanski. Sie erlebt in ihren Sitzungen oft, dass sich Paare nach Konventionen richten, auf andere Paare schielen, sich und ihre Liebe vergleichen. „Wir im westlichen Raum haben eine sehr veraltete, romantische Vorstellung von Beziehung. Paare wollen aus ihren unterschiedlichen Lebenswelten eine Welt machen. Das geht nur mit Kompromissen. Ich behaupte, dass man möglichst keine Kompromisse machen sollte.“

„Ich liebe meinen Freund sehr, aber ich brauche meinen eigenen vier Wände, um mich entspannen zu können – auch mal von ihm.“ Nadine, 32 Jahre

Mit dieser provokanten Aussage will die Therapeutin eines deutlich machen: Wer der Beziehung wegen lieb gewonnener Gewohnheiten aufgibt, wird schnell frustriert sein. „Jeder braucht diese Gewohnheiten, um seine Ressourcen, seine Kraftquellen aufzuladen.“ Das kann das Hörspiel am Abend im Bett sein, die Nachmittage vor der Leinwand oder das Zeitunglesen am Frühstückstisch. Vor allem diese kleinen Dinge seien es, die das Zusammenleben schwer machen können. „Wenn sich der Partner hinter der Zeitung verschanzt, erleben wir das vielleicht als Ablehnung, dabei ist das bloß seine Auszeit für sich und hat nichts mit dem Partner zu tun.“ Paare müssten lernen, das zu akzeptieren. Denn auch das gehört zum Zusammenleben dazu. „Das ist die größte Herausforderung“, sagt Bettina Schimanski.

„Es ist einfach schön, wenn ich nach Hause komme und da ist jemand. Mein Mann und ich sehen die Kinder gemeinsam aufwachsen. Streit gehört auch dazu, aber wir genießen das Familienleben.“ Jennifer, 38 Jahre

Ein eigenes Zimmer in der gemeinsamen Wohnung kann im wahrsten Sinne des Wortes Freiraum schaffen. Das kann ein Arbeits- oder Hobbyraum sein oder ein eigenes kleines Wohn- und Schlafzimmer – ganz nach den eigenen Bedürfnissen eingerichtet und auf sie zugeschnitten. Diese Rückzugsmöglichkeit bedeute nicht, dass man sich vom Partner zurückziehe, sondern biete die Möglichkeit, zu sich selbst zu kommen. „Wenn die Partner in ihrer persönlichen Reifung noch nicht so weit sind, trauen sie sich nicht, ihrem Partner zu sagen, was sie sich wünschen.“ Das merkt Bettina Schimanski an vielen Pärchen. „Das kann nicht gut gehen, wenn man dem Partner zuliebe nicht mehr für sich selbst sorgt“, findet die Paartherapeutin.

„Ich habe lange mit einem Mann zusammen gelebt. Ich wollte das eigentlich nie. Deshalb bin ich froh, dass ich mit meinem neuen Partner in zwei Wohnungen im gleichen Haus leben kann.“ Jutta, 59 Jahre

Viele Konflikte seien darauf zurückzuführen, dass sich Partner an den Kompromissen aufreiben. Wenn ihre Malerei-Staffelei dem gemeinsamen Arbeitszimmer weichen muss, ist das nicht unbedingt eine praktische Umgestaltung. Plötzlich fehlt dieser Ruhepunkt in ihrem Leben und kann im schlimmsten Fall in bösen Vorwürfen dem Partner gegenüber enden. „So schadet man sich selbst, wird unzufrieden und projiziert das irgendwann auf den Partner“, sagt Schimanski. Das eigentliche Problem kanalisiere sich in vielen Neben-Streitigkeiten. Kleine Sticheleien über das vermeintlich eigensüchtige Verhalten des Partners, Selbstmitleid und Trotz. Eine weitere Gefahr, die das Zusammenleben birgt, sei die Gewöhnung. „Manche nehmen ihren Partner als Selbstverständlichkeit hin und verlieren den Respekt. Dann kann es sich anbieten, in getrennten Wohnungen zu leben“, so die Therapeutin.

„Meine Freundin und ich würden uns kaum noch sehen, wenn wir nicht zusammen wohnen würden. Deshalb bin ich froh, dass wir eine Wohnung haben. Am Wochenende gibt es dann manchmal Streit über die Unordnung.“ Dennis, 30 Jahre

Die Frage, ob das Paar räumlich mehr Freiraum schaffen solle, ist aber eher eine Frage der jungen Generation. Obwohl auch Paare, deren Kinder schon das Haus verlassen haben, auseinander ziehen könnten. „Ältere Paare empfinden das Zusammenleben weniger als Problem. Die können sich besser zurücknehmen, sich anpassen. Jüngere sind darin nicht geübt. Viele der jüngeren Generation hatten schon als Kind ein eigenes Zimmer und sind daran gewöhnt“, erklärt Bettina Schimanski.

„Ich habe einfach zu lange allein gelebt, um mich jetzt wieder auf jemand anderen einstellen zu können. Meine Partnerin und ich leben getrennt.“ Heinz, 62 Jahre

Zwischen den Möglichkeiten zusammen zu ziehen und nicht zusammen zu ziehen, gibt es noch die Möglichkeit für Paare, sich bewusst für zwei Wohnungen im gleichen Haus oder in der Nähe zu entscheiden. „Das können sehr reife Entscheidungen sein. Da haben die Partner gelernt, was sie brauchen und sich darauf geeinigt.“ Bei der Suche nach der individuell richtigen L��sung müssten sich die Partner einige Punkte bewusst machen, empfiehlt Bettina Schimanski: „Erstens müssen die Partner zu ihren Wünschen stehen. Zweitens dürfen sie nicht ihren Partner für die Erfüllung der Wünsche verantwortlich machen. Und drittens müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass ihre Forderungen Ängste vor Zurückweisung beim Partner auslösen können.“

Letzteres sei besonders wichtig. Denn wer in ein eigenes Schlafzimmer ziehen möchte, will damit nicht den Partner zurückweisen, sondern einfach einen Raum für sich haben. Dann kann SIE abends wieder ihre Hörspiele hören und morgens ausgeruht und entspannt zu IHM zum Kuscheln ins Bett schlüpfen. Bettina Schimanski weiß: „Die Wünsche vorzutragen, braucht Mut!“