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Warum wir 90 Prozent unserer Einkäufe gar nicht brauchen

Warum wir 90 Prozent unserer Einkäufe gar nicht brauchen

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Einkäufe können befriedigend sein. Doch 90 Prozent davon bräuchten wir eigentlich gar nicht, glaubt der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther.

Essen. 

Warum shoppen Menschen bis zum Umfallen? „Weil sie mit sich und der Welt nicht zufrieden sind“, sagt der Neurobiologe und Autor Gerald Hüther. Wer glücklich sei, liebäugele seltener mit dem neuen Paar Schuhe.

Herr Hüther, warum macht Shoppen glücklich?

Gerald Hüther: Kauft man etwas, was man wirklich braucht oder was man schon lange haben wollte, wird im Hirn das Belohnungszentrum angeschaltet. Das springt immer dann an, wenn es einem aus eigener Leistung heraus gelingt, die Welt für sich wieder in Ordnung zu bringen. Konsum ist eine schnelle Befriedigung.

Wann klappt das eher: Wenn ich Geschenke besorge oder etwas für mich selbst?

Hüther: Definitiv werden Sie glücklicher, wenn Sie etwas kaufen, womit Sie einem anderen Menschen eine Freude machen wollen. Denn wenn Sie jemandem etwas schenken, der Ihnen viel bedeutet, dann stärkt dies die Verbundenheit. Das heißt, Sie stillen eins der allergrößten Bedürfnisse – das nach Zugehörigkeit.

Schenken ist nicht selbstlos?

Hüther: Die wichtigste Aufgabe unseres Hirns besteht darin, gut auf uns selbst aufzupassen. Eine Voraussetzung dafür, dass wir im Leben zurecht kommen, ist eine gute Beziehung zu anderen Menschen. Deshalb haben wir das Bedürfnis, uns um andere Menschen zu kümmern. Wir brauchen sie.

Ab welchem Alter fängt man an, das Shoppen zu lieben?

Hüther: Los geht es wohl dann, wenn die Eltern dem Kind deutlich machen, dass sie selbst das Einkaufen gut finden. Das überträgt sich. Und später kauft sich die Tochter dann ebenso wie die Mama gerne mal wieder ein Paar neue Schuhe, obwohl schon genug davon zu Hause herumstehen.

Wie viel Geld verschwenden Verbraucher?

Hüther: Sie verschwenden ihr Geld ja nicht, sondern benutzen es zum Kauf von etwas, was ihnen gut tut. 90 Prozent aller Einkäufe brauchen wir in Wahrheit allerdings nicht. Diese vielen Geschäfte in Innenstädten, in denen man Accessoires kauft wie flatterige Tücher, Plastikschmuck oder bedruckte Krawatten, sind dafür ein gutes Beispiel. Was dort angeboten wird, ist eigentlich gar nicht nötig. Aber manche wollen es eben doch. Das muss ihnen also irgendjemand schmackhaft gemacht haben.

Warum lassen sich Menschen das einreden?

Hüther: Weil es viele gibt, denen es nicht so gut geht, die mit sich und der Welt nicht so recht zufrieden sind. Die gern mit anderen verbunden wären, oder nie etwas selbst entscheiden können. Weil sie nicht das finden, was sie brauchen, nehmen sie sich dann eben irgendetwas, was sie sich kaufen können. Als Ersatz also. Das heißt: Einkaufen kann zu einer Ersatzbefriedigung für unglückliche Menschen werden.

Kann Kaufen auch krankhaft werden?

Hüther: Wenn es soweit gekommen ist, dass jemand nur noch Augenblicke von Glück erlebt, wenn er Shoppen geht, dann ist das schon ein ziemliches Problem. Das übersteigt ja dann auch schnell das eigene Budget. So entsteht Stress, noch mehr Geld muss aufgebracht, noch mehr gearbeitet werden, damit man sich das alles leisten kann. So etwas kann ziemlich aufreibend werden und womöglich gar in einem Zusammenbruch, einem Burnout, enden.

Wann muss ich mich beraten lassen?

Hüther: Wenn ich feststelle, dass ich Dinge kaufe, die ich in Wahrheit gar nicht brauche, dann würde ich mit einem Freund oder einer Freundin reden, um gemeinsam herauszufinden, was mich dazu immer wieder antreibt. Damit muss man nicht gleich zum Therapeuten gehen.

Was hält Verbraucher vom Kaufen ab – ein hoher Preis?

Hüther: Ist jemandem die Sonnenbrille, die da im Regal liegt, ganz enorm wichtig, weil sie oder er sich davon etwas ganz Besonderes verspricht, dann wird sie meist auch gekauft, selbst wenn sie 300 Euro kostet. Es hängt von der Bedeutung ab, die jemand dieser Ersatzbefriedigung zuschreibt. Der Preis ist dabei gar nicht so entscheidend. Im Gegenteil: Damit ein Produkt an Bedeutsamkeit gewinnt, muss es sogar richtig teuer sein.

Was verführt?

Hüther: Jeder möchte gern etwas Besonderes sein, wenn das nicht geht, wenigstens etwas Besonderes haben. Dazugehören und sich mit anderen verbunden fühlen, wollen wir auch alle. Wer auf Amazon kauft, bekommt den Hinweis: Kunden, die dieses Produkt angesehen haben, haben ebenso folgendes angesehen. Das ist eine sehr clevere Reklame, denn sie setzt an dem Bedürfnis an, dazuzugehören. Einzigartigkeit und Freiheit wird auch gern versprochen. So kaufen wir etwa Freizeitjacken, die eigentlich nur jemand braucht, der eine Nordpolexpedition machen will.

Wie sind Werbebotschaften zu entlarven?

Hüther: Alleine ist das schwer. Am besten geht das zusammen mit anderen. Bilden Sie eine kleine Gemeinschaft, laden Sie sich gegenseitig ein, reden Sie darüber, was im Leben wirklich wichtig ist, machen Sie was gemeinsam, haben Sie Spaß zusammen. Das macht glücklich. Und wer glücklich ist, braucht gar nicht mehr so viel. Da reicht dann ein neues Paar Schuhe, wenn das alte abgelatscht ist.