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Internet-Hacker machen Druck gegen Vergewaltiger im amerikanischen Nest Steubenville

Internet-Hacker machen Druck gegen Vergewaltiger in USA

In einer kleinen Stadt in Ohio spielen Internet-Hacker Ersatz-Polizei, um mehr Druck bei den Ermittlungen gegen zwei junge Vergewaltiger zu machen. Die Täter haben Bilder von sich und dem 16-jährigen Opfer über Twitter und Facebook verbreitet. Das ganze Land sieht zu. Im Februar beginnt der Prozess.

Steubenville. 

Wäre nicht Dino Grocetti hier geboren, der sich als Dean Martin neben Sinatra singend durch die 60er Jahre schmuste – nach Steubenville krähte bis heute kein Hahn. Das 18.000-Einwohner-Nest am Ohio River, eine Stunde Autofahrt von Pittsburgh entfernt, ist eine überalterte, verarmte Jeder-kennt-jeden-Stadt. Man kennt sich. Man hilft sich. Seit ein paar Tagen ist diese Nähe nationales Gesprächsthema. Polizei und Stadtspitze werden von der Hacker-Gruppe Anonymous beschuldigt, einen Vergewaltigungsfall, in den zwei 16-jährige Spieler einer Football-Mannschaft verwickelt sind, nicht mit letzter Entschlossenheit aufzuklären. Könnte ja den Ruf der „Reds“ ramponieren.

Wer in Steubenville lebt, einem Ort, der den Kollaps der Stahlindustrie nicht verkraftet hat, findet nicht viel, auf das er stolz sein könnte. Höchstens die „Big Red“. Das örtliche High-School-Football-Team wird verehrt wie ein Goldmedaillen-Gewinner bei Olympia und ist wie in vielen anderen Steubenvilles im ländlichen Amerika auch eng mit der Stadt und ihren Honoratioren verwoben.

Über 1000 Demonstranten machten vor wenigen Tagen ihrem Unmut vor dem Gerichtsgebäude Luft, darunter viele Frauen, die öffentlich über ihre Erfahrungen mit dem Thema Vergewaltigung berichteten. Fred Abdallah, der zuständige Sheriff von Jefferson County, wo auch der spektakuläre Fall der Amish-Barträuber spielt, versuchte vergebens, die Menge zu beruhigen. Um ihre Behauptungen zu erhärten, haben die selbst ernannten Blauhelme des Internetzeitalters E-Mail- und Twitter-Konten sowie Schul-Computer gehackt und so Dutzende „Beweise“ auf einer eigenen Internet-Seite (www.stopbigred.com) veröffentlicht.

Die Übeltäter fotografierten ihr Opfer – nackt

Die zentrale Angriffslinie: An den sexuellen Übergriffen gegen die 16-jährige Savannah Dietrich seien im vergangenen August nicht nur die am 13. Februar vor Gericht stehenden Spieler Trent Mays und Malik Richmond beteiligt gewesen. Sondern weitere Football-Asse und Jugendliche, die tatenlos zusahen, wie das laut Polizei volltrunkene Mädchen von einer Party zur nächsten geschleppt und zwischendurch auf Autorücksitzbänken und in stillen Nebenzimmern vergewaltigt wurde. Die Übeltäter fotografierten ihr Opfer – nackt. Und verbreiteten die Bilder übers Internet.

So erst erfuhren Savannahs Eltern davon. Die Anwälte der Angeklagten, die zwei Monate in Haft waren und seither unter Hausarrest stehen, bezeichnen die Vorwürfe als Lüge. Im Prozess werde anhand von Handy-SMS nachgewiesen, dass gar keine Vergewaltigung stattgefunden habe, sagte Strafverteidiger Walter Madison dem Sender CNN. Assistenz-Staatsanwältin Hemmeter glaubt das Gegenteil. Aus ihrer Sicht haben Mays und Richmond die Trunkenheit des Opfers brutal ausgenutzt: „Sie war ein Spielzeug für sie und wurde auch so behandelt“, sagte Hemmeter.

In Steubenville haben sich in der Bürgerschaft zwei Lager gebildet. Die einen geben dem Mädchen mit dem bekannten „Sie hat es doch darauf angelegt“-Argument die Schuld. Die anderen fordern die denkbar härteste Bestrafung. Argumente ziehen die letzte Streitpartei aus einem zwölfminütigen Handy-Film, der dem Betrachter die Schuhe auszieht. Darin äußern sich spätpubertierende Kumpel der Angeklagten – und filmen sich gegenseitig. Sie bestätigen und verharmlosen auf das Vulgärste die Vergewaltigung. Sie ziehen in menschenverachtender Form („die war toter als Kennedy“) über das Mädchen her, heißen sogar gut, dass auf die wehrlose junge Frau gepinkelt wurde, nachdem man sich an ihr vergangen hatte.

Die Hacker von Anonymous wollen sämtliche Beteiligte öffentlich machen

Der Umstand, dass um die Tatzeit ein halbes Dutzend Youngster Facetten des Missbrauchs über den Kurznachrichtendienst Twitter, die Internet-Litfasssäule Facebook und Handy-Kameras für die Nachwelt erhalten haben, brachte die Fahnder jetzt zu einem ungewöhnlichen Schritt. Um die „Halb – und Unwahrheiten“, die sich via Internet in Sekundenschnelle verbreiten, nicht länger unwidersprochen zu lassen, so Polizeichef William McCafferty, hat die Behörde eine eigene Web-Seite ins Leben gerufen. Auf www.steubenvillefacts.com bemüht sich das Sheriffsbüro nach Kräften den Eindruck zu zerstören, dass die Footballer von „Big Red“ über dem Gesetz stünden. McCafferty: „Wir sind genauso angewidert von den Vorwürfen wie alle Bürger.“

Die Ermittlungen sind inzwischen zwecks Vermeidung des Verdachts der Befangenheit lokaler Ermittler ganz oben angesiedelt, bei Ohios Generalstaatsanwalt. Mike DeWine appellierte am Wochenende, die Ermittler in Ruhe ihre Arbeit machen zu lassen. „Der Fall gehört nicht in den Medien verhandelt und auch nicht auf Facebook.“ Die Hacker von Anonymous lassen sich davon nicht beeidrucken. Sie wollen die Identität sämtlicher Beteiligten öffentlich machen, die im Sommer die Augen verschlossen, als Savannah Dietrich missbraucht wurde. Rechtsfindung im Zeitalter von Social Media.