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Fukushima-Flüchtlinge wollen in Düsseldorf leben

Fukushima-Flüchtlinge wollen in Düsseldorf leben

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Foto: WP Michael Kleinrensing

Hagen/Essen. 

Anja Matsumoto floh mit ihrem Mann Hideki und ihren vier Kindern nach der nuklearen Katastrophe aus Japan. Jetzt sucht sie eine Wohnung in Düsseldorf. Doch warum entschied sich die Familie für die NRW-Landeshauptstadt als neue Heimat?

Fast vier Monate nach dem Erdbeben und dem Super-Gau in Japan ist der Nachrichtenstrom weitgehend verebbt. Doch für Anja Matsumoto, ihren Mann Hideki und die vier Kinder sind die Folgen der Katastrophe jetzt spürbarer denn je. Nach dem Erdbeben am 11. März floh die Familie aus ihrer japanischen Heimat Tokio – weil sie die Möglichkeit dazu hatte, wie Mutter Anja sagt. Bei Anjas Eltern in Hagen fanden die Sechs eine erste Anlaufstelle, ein Freund überließ ihnen sein Haus.

Seither sind Anja Matsumoto und ihre Familie durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. „Nach der Erleichterung, dass wir raus waren, kam die große Frustration. Die Kinder haben gedacht, die Welt sei zu Ende, sie haben ihre Freunde und ­Tokio so sehr vermisst.“

„Wir wollen uns in Deutschland ein neues Leben aufbauen“

Entsprechend schwer fiel die Entscheidung, die der Familienrat an den Ostertagen traf: „Wir wollen uns in Deutschland ein neues Leben aufbauen.“

Das sagt eine Frau, die mit 21 Jahren nach Japan gegangen war, um dort privat und beruflich Fuß zu fassen. Und die mit Recht stolz sein darf auf das Geleistete. „Wenn ich darüber nachdenke, wie viel Energie und Zeit ich in die Karriere, die Auswahl der richtigen Schule für die Kinder oder die Suche nach dem Haus gesteckt habe…“, Anja Matsumoto muss schlucken. Man kann ihr die Zerrissenheit anmerken.

Der erste Schritt in ihr neues Leben soll jetzt eine Wohnung in Düsseldorf sein. Keine leichte Aufgabe, denn Wohnraum gibt es in der Landeshauptstadt nicht gerade im Überfluss. „Wir haben uns schon ein paar Wohnungen angeguckt“, erzählt Anja Matsumoto, bisher leider ohne Erfolg.

Sprachprobleme hatten die Kinder nicht

Doch warum gerade Düsseldorf? „Uns ist wichtig, dass die Kinder beide Kulturen, also die deutsche und die japanische, als ihre eigenen annehmen.“ Deswegen hatten sie sich in Tokio für eine deutsche Schule entschieden. Ein Segen, wie sich herausstellte. Denn Sprachprobleme hatten die Kinder nicht. Nicht einmal der sechsjährige Fabian. „Der hat innerhalb von drei Monaten hier im Kindergarten die Sprache gelernt.“

Und deswegen fiel die Wahl des neuen Wohnortes jetzt auf Düsseldorf. Hier lebt die größte japanische Gemeinde Deutschlands, in vielen Schulen steht Japanisch auf dem Stundenplan. Etwa im Cecilien-Gymnasium in Düsseldorf-Niederkassel, wo die 15-jährige Fiona, die älteste Tochter der Auswandererfamilie, nach den Sommerferien in die zehnte Klasse geht. Bis dahin muss Mutter Anja eine Wohnung gefunden haben und für ihre anderen drei Kinder, die zwölfjährige Lena, die neunjährige Felisa und den sechsjährigen Fabian eine passende Schule. Vorher kann sich die 47-Jährige auch nicht um ihre eigene Karriere kümmern: „Erst wenn die Familie und die Kinder untergebracht sind, kann ich mich bewerben.“ In Japan hat sie als Abteilungsleiterin für eine Designmöbel-Firma gearbeitet. „Mir ist wichtig, dass ich mein Japanisch weiter einsetzen kann.“ Auch deshalb entschied sich die Familie für Düsseldorf, viele internationale Unternehmen haben hier ihren Sitz.

Werden wir in Deutschland heimisch werden?

Außerdem glaubt Anja Matsumoto, dass ihr Mann, der Künstler und Kunstlehrer Hideki Matsumoto, in der Landeshauptstadt ein passendes Publikum findet. Zurzeit lernt er in einem Hagener VHS-Kurs Deutsch. Auflage der Einwanderungsbehörde. Zugleich baut er sich ein zweites Standbein auf. Japanisch kochen, das will er in Deutschland lehren. Erste Schritte sind unternommen. Kein Geringerer als TV-Koch Johann Lafer wird diese Offensive ein wenig begleiten. Denn Lafer kennt die Familie Matsumoto. „Das ZDF hat in Japan nach einem Drehort für ,Lafer kocht’ gesucht. Da ist man auf uns gekommen – und mein Mann hat mit Herrn Lafer in unserer Küche japanische Speisen zubereitet“, berichtet Anja Matsumoto aus den Zeiten vor Tsunami und Super-Gau. Gegenbesuche in Lafers Restaurant, der Stromburg, haben schon stattgefunden. „In solchen Momenten glaube ich daran, mein Leben auch ein zweites Mal aufbauen zu können“, sagt Anja Matsumoto.

Dennoch, die Ungewissheit bleibt: Werden wir in Deutschland heimisch werden? Werden die Kinder den Kulturwechsel verkraften? Wann werden wir eine Wohnung und einen Job finden? Der Berg an Problemen türmt sich scheinbar übermächtig auf. Und natürlich vermisst sie ihre alte Heimat. Auf die Frage, was ihr denn am meisten fehlt, antwortet sie, ohne zu zögern: „Das japanische Essen.“ Die Japaner würden einfach viel leichter, frischer und vor allem gesünder kochen. Sie vermisst aber auch die Freundlichkeit. „Japan ist ein Serviceland, als Kunde wird man überall freundlich begrüßt.“ Und beim Gedanken an die vergangenen zwei Wochen, die Anja Matsumoto in Tokio verbracht hat, um Haus und Auto zu verkaufen, fällt ihr noch etwas ein: die Sicherheit. Ihr Haus in Tokio stand drei Monate leer, drei Fahrräder und ein Auto waren vor der Tür geparkt. „Und nichts ist weggekommen“, schwärmt die 47-Jährige.

Anja Matsumoto liebt Japan, und deshalb kann sie sich vorstellen, eines Tages dorthin zurückzugehen. Aber nicht so schnell, die Kinder sollen nicht noch einmal die Schule wechseln müssen. „Aber mein Mann und ich alleine, wenn die Kinder groß sind, das kann ich mir gut vorstellen.“