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Erneut stirbt ein Zuwanderer an einem Knollenblätterpilz

Erneut stirbt ein Zuwanderer an einem Knollenblätterpilz

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Ein grüner Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) wächst auf einer abgestorbenen Baumwurzel Giftpilz im Wald. Foto: imago
Für Flüchtlinge sieht der giftige Pilz vertraut aus – und essbar wie ein Verwandter aus dem Mittelmeerraum. Die Verwechslung endete mehrfach tödlich.

Münster/Hannover. 

Dikkat! Mantar zehirlenmesi!“ – Auf Türkisch und sieben weiteren Sprachen steht eine Warnung auf dem Plakat, daneben ein Foto des giftigen Knollenblätterpilzes. Die Plakate sollen Flüchtlinge in Deutschland vor dem extrem giftigen Pilz warnen, der einem vor allem im Mittelmeerraum beliebten Speisepilz zum Verwechseln ähnlich sieht. Zwei Menschen sind in dieser Woche bereits an den Folgen einer schweren Vergiftung durch den Knollenblätterpilz gestorben.

Anfang der Woche starb ein 16-Jähriger Flüchtling aus Syrien, am Mittwoch vermeldete das Uniklinikum in Münster den Tod eines 44 Jahre alten Mannes, der aus Rumänien stammt. In und um Hannover erkrankten zuletzt mehr als 30 Menschen nach dem unbedarften Verzehr der Giftpilze – ausnahmslos Flüchtlinge und Asylsuchende, wie die dortige Medizinische Hochschule mitteilte.

Neue Schilder sollen warnen

Wer fremd ist und in seiner Heimat andere Pilze kennt, ist offenbar besonders gefährdet, schlagen nun Mediziner und Pilzexperten Alarm. Die mehrsprachigen Aufklärungsplakate sollen daher in möglichst vielen Flüchtlingsunterkünften und Schaukästen an Waldparkplätzen aufgehängt werden. Die Medizinische Hochschule Hannover hat sie entworfen und verschickt sie großflächig in ganz Deutschland per Mail.

Sie berichten über die Gefahren, die von einem der giftigsten Pilze in Deutschland ausgehen: Erst mehrere Stunden nach dem Verzehr löst das Gift des Knollenblätterpilzes Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aus. Später kann es zur Schädigung der Leber kommen, es besteht die Gefahr von Blutgerinnungs- und Nierenfunktionsstörungen. Im schlimmsten Fall kommt es zum Organversagen.

Der Eier-Wulstling sieht ähnlich aus

Wolfgang Prüfert ist begeistert von den Plakaten. Er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Mykologie, also der Wissenschaft der Pilze. Dass ausgerechnet eine große Gruppe Syrer Opfer des Knollenblätterpilzes geworden ist, liegt wohl an einer fatalen Verwechslung: Das giftige Gewächs hat große Ähnlichkeit mit dem essbaren Eier-Wulstling, den man im Mittelmeerraum findet. Andere Experten sprechen auch von einer Verwechslungsgefahr mit dem schnöden Champignon.

Doch warum sind tödliche Vergiftungen durch den Pilz bei Deutschstämmigen so selten? Der Grund dafür ist für Prüfert klar: In Deutschland gehen nur wenige Menschen selbst in den Wald, um Pilze zu sammeln. Und diejenigen, die es tun, kennen sich meist bestens aus.

Osteuropäer gelten als besonders gefährdet

Auch Carola Seidel, Oberärztin in der Gift-Info-Zentrale in Bonn, sieht Menschen mit Migrationshintergrund eher gefährdet. Das Sammeln von Pilzen habe in ihren Herkunftsländern eine viel größere Bedeutung. Zur typischen Gefahrengruppe gehören seit vielen Jahren auch in Deutschland lebende Osteuropäer. In ihrer Heimat sei es viel verbreiteter, von dem zu leben, was sich in Wald und Feld sammeln lässt.

Man müsse jetzt vor allem das Risikobewusstsein schärfen, meint Mykologe Prüfert. „Wenn man schon zittert, ob ein Pilz essbar oder giftig ist, dann ist der erste Schritt gemacht“, erklärt er. Er sieht auch die Ehrenamtlichen in den Flüchtlingsorganisationen in der Pflicht, die nötigen Informationen weiterzugeben.

Die Zahl der schweren Pilzvergiftungen, die eine Behandlung im Krankenhaus erfordern, schwankt nach Erhebungen der Krankenkasse DAK-Gesundheit seit 2011 zwischen 24 und 38 Fällen pro Jahr bundesweit. „Es gibt sie jedes Jahr, nicht in Massen, aber es gibt sie“, sagt Seidel. In diesem Jahr könnte das anders aussehen: Es gab bisher sechs schwere Pilzvergiftungen – ohne die jüngsten Fälle in Niedersachsen. Und die Pilzsaison beginnt gerade erst.