Veröffentlicht inPanorama

Delfine unter Drogen – Zoos stehen in der Kritik

Delfine unter Drogen – Zoos stehen in der Kritik

Delphinarien in der Kritik vor--656x240.jpg
Foto: Fotopool / Jakob Studnar
Aufzeichnungen im Nürnberger Tiergarten beweisen: Delfine werden nicht nur mit Antibiotika behandelt, sondern auch mit Valium ruhiggestellt. „Die Tiere kommen nicht miteinander aus, werden im Streitfall separiert und mit Psychopharmaka ruhig gestellt“, erklärt Verhaltensbiologe Karsten Brensing.

Nürnberg. 

Noah ist aggressiv. Immer wieder attackiert er Anke. Rammt ihr seine spitze Schnauze in den Körper. Höhepunkt der Auseinandersetzungen: Im Juli 2004 bricht er Anke einen Kiefer. Noah ist ein großer Tümmler, einer von sieben im Nürnberger Zoo, die alltäglich Besucher mit ihren witzigen Sprüngen und koketten Ballspielen zum Lachen bringen sollen. Lustig findet Noah an diesen Tagen sein Dasein scheinbar nicht.

In den letzten Jahren gab es viele Phasen im Leben Noahs, an denen das Männchen sich nicht von seiner freundlichen Seite zeigte. Und die Lösung des Problems sieht immer gleich aus: Noah wird Diazepam verabreicht. Besser bekannt als Valium.

Das geht aus den Aufzeichnungen des Delfinariums im Tiergarten Nürnberg hervor. Vor einem Jahr hatte das Bayerische Verwaltungsgericht einer Klage der „Whale and Dolphin Conservation Society“ (WDCS) stattgegeben und festgestellt, dass dem WDCS Einsicht in alle Akten über die Delfinhaltung in Nürnberg gewährt werden muss. Erste Auswertungen liegen jetzt vor.

„Die Unterlagen lesen sich wie der Bericht einer Intensivstation.“ 

„Die Situation ist schlimmer, als zuvor angenommen“, sagt Karsten Brensing Verhaltensbiologe und Delfinexperte des WDCS. „Die Tiere kommen nicht miteinander aus, werden im Streitfall separiert und mit Psychopharmaka ruhig gestellt“, erklärt er. Sein Kollege vom Wal- und Delfinschutz-Forum (WDSF) in Hagen, Jürgen Ortmüller, pflichtet ihm bei: „Die Unterlagen lesen sich wie der Bericht einer Intensivstation.“

Neben Valium würden 19 weitere Medikamente aufgelistet, darunter auch verschiedene Antibiotika-Präparate. Bis zu 50 Milligramm Diazepam – „eine Betäubungs-Dosis, um Bronchoskopien zu machen“, erklärt Brensing – werden den Delfinen verabreicht. Eine ziemlich hohe Gabe, sagt der Mann vom WDCS.

Trächtige Weibchen bekommen Diazepam

Als eher niedrig schätzt die Nürnberger Zoo-Tierärztin Katrin Baumgärtner die Ration ein. Man setze Valium lediglich als Appetitanreger ein. Zur Ruhigstellung? „Nein“, sagt sie im Gespräch mit dieser Zeitung zunächst. Konkret auf Noah angesprochen, räumt sie wenig später ein: „Diazepam nimmt den Tieren die Spitze der Aufregung.“ Diazepam sollte 2006 wohl auch den Weibchen Nynke und Anke die Aufregung nehmen, die mit Daisy im Klinsch lagen. Die zu dem Zeitpunkt trächtigen Weibchen werden später ihre Kälber verlieren. Daisy stirbt bei der Geburt. Seit der Gründung des Delfinariums 1973 seien in Nürnberg 33 Tümmler gestorben.

Ob in Duisburg die Delfine ebenfalls mit Valium ruhiggestellt werden, war nicht in Erfahrung zu bringen. Eine entsprechende WAZ-Anfrage in der vergangenen Woche wurde bis diesen Mittwoch nicht beantwortet.

Delfinarium in Münster wird im Oktober geschlossen 

Duisburg wird Ende Oktober, wenn das Delfinarium in Münster geschlossen wird, das letzte seiner Art in Nordrhein-Westfalen sein. Was mit den beiden männlichen Tümmlern passiert, die zurzeit noch in Münster ihre Runden drehen, weiß noch niemand. Ein Tier gehört dem Delfinarium im niederländischen Harderwijk, eins den Nürnbergern.

„Voraussichtlich wird Nando nicht nach Nürnberg kommen“, sagt Baumgärtner. „Er passt nicht zu uns“. Brensing sagt es mit anderen Worten: „Ein weiteres dominantes Männchen wäre nicht in die Gruppe zu integrieren.“ Wo Nandos Reise hingeht, entscheidet das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP).

Einsames Schicksal als Solist

247 Delfine in europäischer Gefangenschaft werden dort koordiniert, zu Zuchtzwecken auch mal verschickt. Findet das EEP für Nando keine passende Gruppe, müsste er sein einsames Schicksal als Solist in einem kleinen Betonbecker verbringen, fürchtet Brensing. Denn eine Auswilderung sei kaum möglich.

Erspart bleiben sollte ihm auch ein Erlebnis, das Anke auf ihrem Transport von Holland nach Nürnberg erleiden musste: „Anke hat sich beim Fangen hinter Blasloch, an der Finne (blutet am meisten) am rechten Flipper und an der Fluke aufgeschlagen“, heißt es im Bericht des Nürnberger Zoos. Neben Antibiotika bekam Anke natürlich auch Valium.