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„Das Zeugenhaus“ zeigt packend die Banalität des Bösen

„Das Zeugenhaus“ zeigt packend die Banalität des Bösen

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"Das Zeugenhaus" Foto: dpa
Ungeheuerlich: Vor den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen 1945 waren Täter und Opfer gemeinsam in einer Villa untergebracht. Das ZDF hat daraus ein packendes Kammerspiel gemacht. Regisseur Matti Geschonneck, seinem Stamm-Autor Magnus Vattrodt und einem grandiosen Ensemble sei Dank.

Mainz. 

Es ist eine Ungeheuerlichkeit. Vor den Nürnberger Prozessen gegen Nazi-Kriegsverbrecher im Jahr 1945 wohnten Opfer und Täter in einem „Zeugenhaus“ (Montag, ZDF, 20.15 Uhr). Doch wie lässt sich eine historisch belegte Geschichte so dramatisieren, trotz das Publikums trotz des bekannten Ausgangs gebannt hinsieht? Das Zweite engagierte ein Duo, das für seine Thriller bekannt ist: Regisseur Matti Geschonneck und sein Stamm-Autor Magnus Vattrodt. Es war ein Glücksgriff.

Ihnen gelingt es, ein Kammerspiel zu inszenieren, dass dank cleverer Dramaturgie, grandioser Dialoge und eines großartigen Ensembles die Aufmerksamkeit der Zuschauer bis zur letzten Einstellung hält. Mehr noch: Der 105-minütige Film ist keine trockene Geschichtsstunde, die Archivmaterial bebildert, sondern ein Fernsehereignis, dass einem mehr als einmal das Blut in den Adern gefrieren lässt – und das ohne billige Schauer-Effekte und ohne Monster-Karikaturen.

Hitler-Fotograf erzählt Gute-Nacht-Geschichte vom Führer

Im Gegenteil: Das Personal in den Kammern des Schreckens gibt sich oberflächlich bürgerlich. So erzählt Hitlers Hausfotograf Heinrich Hoffmann (Udo Samel) seiner Tochter Henny, Ehefrau von Reichsjugendführer Baldur von Schirach, eine Führer-Anekdote im Stil eines Gute-Nacht-Märchens, von Burschen, die Hitler am Lagerfeuer nach einer gewissen Zeit erkannten und vor Glück weinten. Natürlich will Hoffmann von Nazi-Gräueln nichts wissen, weil „Herr Hitler“ Vegetarier war und immer gut zu Tieren und Kindern.

Zugleich sind die Spannungen im „Zeugenhaus“ stets fühlbar. Kein Wunder, die Täter stehen unter enormem Druck. Sie fürchten harte Strafen, ja Todesurteile. Andererseits glaubt mancher Nazi-Zeuge, sich herauslavieren zu können – wie Hitlers Hausfotograf, der mit Führer-Bildern einen schwunghaften Schwarzhandel betreibt. So entwickelt sich im Zeugenhaus eine gefährliche Gruppendynamik von Kumpanei und Kungelei, Täuschung und Selbsttäuschung, Mobbing und purem Zynismus.

Alle haben ein Geheimnis – und oft ist es ein dunkles

So gelingt Gestapo-Gründer Diels (Tobias Moretti) zwar nicht, Gastgeberin Gräfin Belavar (Iris Berben) mit einer Charme-Offensive für sich einzunehmen, doch ausgerechnet bei Görings Privatsekretärin Limberger (Gisela Schneeberger) kann er landen – und damit einer Frau, die sonst Sarkasmus pur verspritzt.

Geschonneck und Vattrodt führen ihr Personal nach und nach ein. Das erweist sich als gelungener Kniff. Damit kann jeder Hausbewohner in griffigen Szenen vorgestellt werden. Die Spannung erhöht, dass jede Zeugin, jeder Zeuge ein – zumeist düsteres – Geheimnis hat, das erst im Lauf der weiteren Handlung offenbar wird. Welche Rolle, beispielsweise, hat Generalmajor Lahousen (Matthias Brandt) im Krieg gespielt? Und warum, ausgerechnet, wird die junge Nürnbergerin Emilia (Britta Hammelstein) zu ihm ins Haus bestellt?

Welche Rolle spielt ein Mann namens Gärtner?

Natürlich ist auch die Gastgeberin erpressbar. Sie ist morphiumsüchtig. Das nutzt Gestapo-Gründer Diels zu einer Intrige. Wie wird sich US-Geheimdienstler Bernstein (Samuel Finzi) verhalten, der als deutscher Jude seine Familie im KZ verlor und nach Amerika floh?

Eine besondere Rolle spielt ein Mann namens Gärtner (Edgar Selge). Er hält sich auf Abstand, hackt wie besessen Holz und interessiert erst dann für die Vorgänge im Haus, als die französische Auschwitz-Überlebende Marie (Marie-Claude Vaillant-Couturier) auftritt. Gärtner hat schließlich großen Anteil daran, Lebenslügen zu enttarnen. Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: Das Grauen war allzu oft banal.