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Neunjähriges Topmodel – was darf man Kindern zumuten?

Neunjähriges Topmodel – was darf man Kindern zumuten?

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Foto: ho
Kristina Pimenowa ist neun Jahre alt und ein Profi der Laufstege. Mit drei Jahren begann ihre Karriere. Ihre Mutter sagt, sie sei ein ganz normales Mädchen.

Moskau. 

„Das kleine Modell betört mit zauberhaftem Aussehen typisch slawischen Typs“, schwärmt das russische Frauenportal VeV.ru. Nicht nur russische Klatsch- und Modespalten huldigen Kristina Pimenowa. Die einschlägige angelsächsische Presse, vom „Women Daily Magazine“ bis zur „Daily Mail“, bejubelt das 113 Zentimeter große und 18 Kilogramm leichte Mädchen als „most beautiful girl in the world“.

So ein Titel für eine Neunjährige lässt bei Leuten, die nicht in der Welt des Glamours und Glitters zu Hause sind, ein mulmiges Gefühl entstehen. Und wirft die Frage auf: Darf man Kindern das zumuten?

Auf dem Cover der Kinder-Vogue

Kristina hat inzwischen fast 2,8 Millionen Likes auf ihrer Facebook-Seite, Natalja Wodjanowa, Russlands prominentestes „Erwachsenenmodel“, kommt gerade auf 70.000… Klein-Kristina ist die Heldin von 15 Werbestreifen, für Dolce&Gabbana trägt sie Kindermode über Mailänder Laufstege, ihr Foto thronte auf dem Titel der Kinder-Vogue, sie modelt auch für Roberto Cavalli, Bennetton und Prada, Kristinas Gesicht präsentiert Kinderschokolade in Russland. „Topmodell aus dem Sandkasten“ titelt das russische Nachrichtenportal lenta.ru. Kristina ist ohne Zweifel ein Star der Branche, laut russischer Presse kostet jedes Foto des schönen Kindes 5000 Dollar.

Kristina hat den häufig von Müttern geträumten Traum vorzeitig verwirklicht: Mit Schönheit und Anmut reich, berühmt und natürlich auch glücklich zu werden. Mutter Glikeria, die alle Presseberichte dementiert, früher selbst gemodelt zu haben, schickte die dreijährige Kristina in eine Moskauer Mannequin-Schule, ihr Vater, der Profifußballer und vierfache russische Nationalspieler Ruslan Pimenow, hatte nichts dagegen.

Karriere durchs Netz

Väter reden beim Kindererziehen in Russland sowieso wenig mit. Die Mannequin-Schule aber muss ein Reinfall gewesen sein. Die Kinder seien gedrillt worden, wie Erwachsene auf dem Laufsteg zu stolzieren, erzählt Glikeria dem Hochglanzjournal „Snob“. Statt ihnen Jobs zu vermittelt, habe man sie gegen Extrahonorare fotografiert.

Die Mutter erzählt, sie habe Kristinas Foto auf eine Moskauer Model-Website gestellt, Schönheitsenthusiasten hätten sie weiter im Netz verbreitet, bis eine italienische Model-Agentur aufmerksam wurde.

Lolita-Vorwurf

Glikeria ist Mutter und Managerin und unter Kristinas Millionenpublikum nicht unumstritten. Westliche wie russische Fans werfen ihr vor, das Töchterlein in zu anzüglichen Posen ablichten zu lassen. Die britische Lifestyle-Kolumnistin Natasha Bird zieht gar den Vergleich zu Lolita, Wladimir Nabokows kindlicher, aber verdorbenen Romanheldin. Und das australische Portal News.com.au bemühte einen Psychologen, um die Gefahren ihres „zu erwachsenen“ Jobs für Kristinas Seele zu diskutieren.

Die Mutter mauert: Sie lehne alle Interview- und Fernsehshowanfragen für ihre Tochter ab. Und sie lasse ihr Kind praktisch nicht schminken, die Designer retouchierten Kristinas Make-Ups per Fotoshop dazu.

Ein bescheidenes Kind?

Das Mädchen, so behauptet die Mutter, wisse gar nicht, dass es das schönste Kind der Welt sei, weil man den Browser aus seinem I-Phone entfernt habe. „Sie ist ein gewöhnliches Kind, bescheiden, klein, sehr häuslich“, sagt die Mutter. Ob man ihr Glauben schenkt?

Kristina besuche die zweite Klasse einer ganz normalen Moskauer Schule, außerdem betreibe sie rhythmische Sportgymnastik, bis zu vier Stunden Training am Tag. Glaubt man ihrer Mutter, modelt Kristina eher nebenher.

„Sie defiliert nur zweimal im Jahr auf dem Laufsteg, es gibt zwei Werbekampagnen im Jahr, und nicht mehr als drei Fotoaufnahmen im Monat.“ Heißt im Klartext: Drei Auslandsreisen im Monat, dazu das Pensum eines Leistungssportlers, Schule, Englisch-Privatstunden. „Urlaub ist bei uns nicht eingeplant“, erklärt Glikeria. „Man soll mit großen Träumen leben, sich große Ziele setzen, selbst wenn Papa oder Mama ihre eigene Karriere opfern müssen.“

Ganz andere Zukunftsträume

Und Kristina? Nach Videos zu folgern, turnt die kleine Gymnastin hervorragend und mit großem Vergnügen. Ein grinsendes, eher blasses Kind, das beim Trampolinhüpfen einer Freundin ganz andere Zukunftsträume verkündet: „Wenn ich groß bin, werde ich Soldat. Oberleutnant.“

Kristina kichert. Bleibt zu hoffen, dass ihre Lebensfreude ausreicht, um den großen Träumen und Opfern der Mutter etwas entgegenzusetzen.