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Breloer und die unerzählte Geschichte

Breloer und die unerzählte Geschichte

Der Garant des Qualitätsfernsehens wird am Freitag 70. Demnächst erklärt er Deutschland Bertolt Brecht.

Köln. 

Schlichte Aluminiumkoffer stehen im Arbeitszimmer neben einem Dutzend roter Aktenordner hintereinander gereiht. Auf dem Tisch stapeln sich Metallkisten. Alle­samt gefüllt mit Fotos, Aufzeichnungen, Erinnerungen von Zeitgenossen. Der gesamte Inhalt ist einem Leben gewidmet: Bertolt Brecht, dem „Jahrhundertgenie“, wie Heinrich Breloer ihn nennt. Der Regisseur und Drehbuchautor, der „Schutzpatron des mündigen Zuschauers“, wie WDR-Intendantin Monika Piel ihn lobt, geht seit einem Jahr als „Literaturdetektiv“ der Frage nach: Wer war Brecht?

Die Antwortfindung wird noch ein wenig dauern. Einerseits, weil der Mann morgen eine kreative Pause einlegen und sich feiern lassen wird: Heinrich Breloer wird 70. Andererseits, weil er heute „altersgerecht“ arbeitet. Nicht mehr 16 Stunden am Stück bis tief in die Nacht, mit Tee statt Kaffee und Zigarette. „Gelassener“, sagt er. Denkt kurz nach, zuppelt an seiner Brille und ergänzt sehr bestimmt: „Nicht schlampiger.“ Die Neugier, die Lust des Suchenden, ist im Alter nicht verblasst. „Die Fantasie arbeitet weiter“.

Breloer ist der „Zigeuner“ geworden, von dem er als Junge nur träumen durfte. Traumatisiert in einem Internat in Lüdinghausen. Da, wo „das heidnische Deutschland die Jugend rekatholizieren wollte“, was er 1987 in seinem Dokudrama „Eine geschlossene Gesellschaft“ thematisiert. In eine andere Welt taucht er am Wochenende ein. In der Loemühle, dem Hotel seiner Eltern in Marl. Die Ruhrfestspiele und der Grimme-Preis, von dem inzwischen sechs Ausgaben über den Aluminiumkoffern thronen, locken internationale Künstler in die Stadt, „die ich nur aus dem Fernseher kannte“. Er darf mit ihnen reden. „Maria Wimmer zum Zahnarzt fahren, Juliette Greco ´was holen“, für Yul Brunner dolmetschen. „Das hat mich sehr für diese Welt aus Schminke, Rollenspiel und ‘rumreisen begeistert“.

„Ein Glücksfall“, das Treffen mit Horst Königstein

Nach dem Abitur kehrt Breloer der westfälischen Provinz den Rücken, geht in die „liberale Hansestadt Hamburg“, studiert, schlägt sich mit Filmrezensionen durch, spielt bei Claus Peymann am Studententheater und lernt den Regisseur Horst Königstein kennen. „Ein Glücksfall“, sagt er heute. Mit ihm zusammen revolutioniert er das Fernsehen. Entwickelt das dokumentarische Fernsehspiel.

Ein Genre, wo Geschichte und Geschichten zusammenfließen, wo Dokument und Spiel gemeinsam funktionieren. Breloer nennt das „demokratisch“, erklärt: „Man kann die alten Begriffe zusammenbringen: Bildung und Unterhaltung“.

30 Jahre, über 20 Filme und mindestens doppelt so viele Auszeichnungen später hat er dem Zuschauer Deutschland näher gebracht.

Er überrascht, verur­teilt nie

Hat über die Biografien von Herbert Wehner („Wehner. Die unerzählte Geschichte“, 1993), Uwe Barschel („Die Staatskanzlei, 1989), Björn Engholm („Einmal Macht und zurück“, 1994), Hans Martin Schleyer („Todesspiel“, 1997), Bernd Otto (Kollege Otto, Die COOP-Affäre, 1991), Albert Speer (Speer und ER“, 2004) bis zur Familie Mann die Brüche von Menschen aufgedeckt.

Hat es immer verstanden, zu überraschen. Hat nie verur­teilt. Der Zuschauer muss sich bei seinen Filmen eine eigene Meinung bilden. „Ich möchte ihn bereichert entlassen, nicht entleert“, erklärt er.

Breloer lehnt sich zurück. Schließt die Augen hinter seiner Brille, referiert. Über seine Akribie, seinen Perfektionismus. Letzterer geht weit über die Arbeit am Film hinaus. Meldet sich in den privatesten Momenten, sogar beim Schach mit dem zehnjährigem Enkel. „Wenn der versucht, den Opa zu schlagen, suche ich nachts im Internet nach cleveren Eröffnungszügen“.

Qualität in Zeitendes Trash-Fernsehens

Qualität statt Quantität heißt Breloers Motto. Der Anspruch funktioniert auch in Zeiten des Trash-Fernsehens. Das macht ihn stolz. Auch wenn er heute nicht mehr auf die Dachterrasse seiner Kölner Wohnung steigt, um in die Wohnzimmer der Nachbarn zu linsen, ob sie seinen Film eingeschaltet haben. „Ich sorge dafür, dass die Leute den richtigen Knopf finden“, gesteht er. In etwa zwei Jahren soll es wieder so weit sein. Bis dahin bleibt die Vorfreude: auf Heinrich Breloers Bertolt Brecht.