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Belästigung im Schwimmbad? Was an den Vorwürfen dran ist

Belästigung im Schwimmbad? Was an den Vorwürfen dran ist

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Landtagsdebatte um sexuelle Gewalt Foto: dpa
  • Dortmunder Pädagoge sagt, dass Belästigungen keine Einzelfälle sind: „Sexualität wird in den Herkunftsländern der Flüchtlinge oft unterdrückt.“
  • Ein Soziologe glaubt: „Nach den Silvester-Übergriffen von Köln hat vielleicht die Zahl der Anzeigen zugenommen, nicht aber die Zahl der Vorfälle.“
  • Badbetreiber und Polizei sehen kein Massenphänomen.

Essen. 

Mitte März meldete die Polizei einen Vorfall, der sich in einem Oberhausener Schwimmbad abgespielt hat: Mehrere Männer sollen dort Mädchen belästigt haben. Laut Polizei handelt es sich bei den Männern um Asylbewerber.

Die Leitung des Schwimmbades in Bornheim hatte Anfang des Jahres sogar ein Badeverbot für männliche Flüchtlinge ausgesprochen. Körperlich angegangen wurde zwar niemand, aber ein Flüchtling soll einige Tage vor dem Verbot eine Frau auf der Straße sexuell belästigt haben – das inzwischen wieder aufgehobene Badeverbot war die Konsequenz.

Werden männliche Flüchtlinge aus arabischen und nordafrikanischen Ländern wirklich besonders oft in Schwimmbädern übergriffig? Lässt sich ein Muster erkennen – oder ist die öffentliche Wahrnehmung seit den Silvester-Übergriffen von Köln besonders sensibilisiert? Sind männliche Flüchtlinge in Sachen Sex einfach grundsätzlich anders erzogen als Männer in Europa?

Jugendliche dürfen nicht über Sex reden

„Ich würde eher fragen, ob sie überhaupt eine Art von sexueller Sozialisation erfahren haben“, sagt Professor Ahmet Toprak, Erziehungswissenschaftler an der FH Dortmund. Er beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung mit Rollenbildern bei Muslimen. „Sexualität wird in den Herkunftsländern der Flüchtlinge oft unterdrückt. Männer und Frauen haben außerhalb der Familie kaum Kontakt zueinander“, sagt Toprak. Eine sexuelle Aufklärung wie in Europa gebe es nicht. Kinder und Jugendliche dürften nicht über Sex reden.

Auch an Frauen in der Öffentlichkeit seien viele dieser Männer kaum gewöhnt: „Wenn in arabischen Ländern eine Frau alleine unterwegs ist, heißt das, dass sie auf der Suche ist. Dann dürfen Männer sie ansprechen und anfassen.“ Europäische Frauen würden sich außerdem selbstbewusster verhalten und nicht den Blick senken, wenn sie einen Mann sehen: „Dieser offene Blick wird häufig als Einladung interpretiert“, erklärt Toprak.

Leichtbekleidete Frauen? „Für die ist das eine Sensation“

Flüchtlinge würden bisweilen auch gezielt in Schwimmbäder gehen, um sich dort leicht bekleidete Frauen anzusehen, glaubt Toprak: „Für die ist das eine Sensation. Die denken: Wow, was ist das denn?“ Dass sich Frauen derart leicht bekleidet in der Öffentlichkeit aufhalten, könnten sie kaum verarbeiten. Toprak glaubt, dass es sich bei den Belästigungs-Vorfällen nicht um Einzelfälle handelt, stellt aber auch klar: „Es geht bei weitem nicht um alle Flüchtlinge. Viele muslimische Männer regen sich über solche Vorfälle ebenso auf wie Europäer.“

Doch wie groß ist das Problem wirklich? Ein Blick auf die Zahlen: Von Juni 2015 bis Mitte März 2016 gab es insgesamt 26 Polizeimitteilungen zu Sexualdelikten in Schwimmbädern. 21 stammen aus der Zeit nach Silvester. In zwölf Fällen ist von Tatverdächtigen die Rede, die „südländisch“ aussehen, „Migranten“, „Nordafrikaner“ oder „Flüchtlinge“ sind. Insgesamt drei Mitteilungen stammen aus NRW. Für Sommer und Herbst 2015 gibt es nur einen Fall, in dem ein „Südländer“ Frauen im Schwimmbad sexuell belästigt haben soll. Im selben Zeitraum gab es vier weitere Fälle, die nicht mit Migranten in Verbindung stehen.

Zahl der Anzeigen hat zugenommen – nicht die Zahl der Vorfälle

„Nach den Silvester-Übergriffen von Köln hat vielleicht die Zahl der Anzeigen zugenommen, nicht aber die Zahl der Vorfälle“, sagt Ortwin Renn, Risikosoziologe am IASS in Potsdam. Er beschäftigt sich damit, wie Menschen Gefahren wahrnehmen. Das Problem der Flüchtlingskriminalität werde überschätzt, sagt Renn. „Gewalt und Kriminalität haben 2015 nicht zugenommen. Die Zahl der Vergewaltigungen war 2015 sogar rückläufig.“ Über „Grapschattacken“ gebe es indes keine Statistik.

Trotzdem würden Vorfälle wie die Belästigung von Mädchen in Schwimmbädern als große Gefahr gewertet: „Das liegt auch daran, dass zwei sehr unterschiedliche Gruppen dieses Thema in der Öffentlichkeit platzieren.“ Zum einen seien es Frauenrechtlerinnen, die diese Vorfälle nutzen würden, um auf alltäglichen Sexismus aufmerksam zu machen. Zum anderen Menschen, die ohnehin gegen Flüchtlinge agitieren würden und diese Vorfälle für ihre Sache ausnutzen. „Das sorgt für ein Bauchgefühl, gegen das sich nur schwer argumentieren lässt“, glaubt Renn.

Bei Google-Bewertungen tauchen immer wieder Bewertungen von Bädern in hetzerischem Ton auf. Über ein Bad in Düsseldorf etwa schreibt ein Nutzer: „Das ist kein Schwimmbad, das ist eine Ausländerkloake !!!“. Eine Nutzerin, deren Name in kyrillischen Buchstaben angezeigt wird, schreibt: „Als Mutter mit Tochter ist es nicht ratsam, das Schwimmbad zu besuchen. Alles voller muslimischer Männer. Die glotzen, schleichen überall rum. (…) Nie wieder !!“.

„Es handelt sich nicht um ein Massenphänomen“

„Das erzeugte Bild ist in der Fläche kaum haltbar. Es gibt zwar einige Vorfälle dieser Art, es handelt sich aber nicht um ein Massenphänomen“, sagt ein Sprecher des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW in Duisburg.

Das sagen auch die meisten Polizeidienststellen in der Region. In Duisburg etwa sei in diesem Jahr kein Fall von sexueller Belästigung in Schwimmbädern bekannt. „Damit haben wir auch jedes Jahr eher in den Sommermonaten zu tun“, so ein Sprecher.

Das passt zur Einschätzung der Badbetreiber. „Im Sommer fallen meist Jugendliche auf, die sich daneben benehmen“, sagt zum Beispiel Sabine Haas von den Stadtwerken Gelsenkirchen. Das seien keineswegs unbedingt Flüchtlinge. „Auch Jugendliche, die aus Gelsenkirchen stammen, wollen zum Beispiel in Unterhose ins Wasser oder versuchen, die Wasserrutsche nach oben zu rennen. Die werden dann mündlich ermahnt und erhalten im Extremfall Hausverbot.“ Bei Fällen von sexueller Belästigung – im Februar habe es einen solchen Fall gegeben – rufe man aber in jedem Fall konsequent die Polizei. „Da können wir nicht entscheiden, ob da einer ungeschickt geflirtet hat, oder ob wirklich was passiert ist“, sagt Haas.

Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen wegen Volksverhetzung

In einigen Fällen entpuppen sich die Vorwürfe später als haltlos. In Netphen etwa soll eine Gruppe von Migranten Teilnehmerinnen eines Aqua-Fitness-Kurses begafft und verfolgt haben: Das hatte eine Frau via Facebook behauptet. Demnach habe sie sich zu ihrem Schutz von ihrem Ehemann aus dem Umkleidebereich abholen lassen. Videoaufzeichnungen entlarvten die meisten Behauptungen als falsch. Die Staatsanwaltschaft prüft mittlerweile, ob sie gegen die Frau wegen Vortäuschung einer Straftat und Volksverhetzung vorgehen wird.

Anders in Norderstedt bei Hamburg: Dort sollen zwei Afghanen ein 14-jähriges Mädchen sexuell genötigt haben. Die Tatverdächtigen sitzen in Untersuchungshaft.

Während solche Straftaten Fälle für die Polizei sind, versuchen Bäderbetreiber seit einiger Zeit mit einer Bäderordnung in arabischer Sprache kulturellen Missverständnissen vorzubeugen. „Sexuelle Belästigungen, z.B. durch anzügliche Gesten, Äußerungen und körperliche Annäherungen sowie unerwünschte Berührungen, sind nicht erlaubt“, heißt es etwa in einem Aushang, den die „Deutsche Gesellschaft für das Badewesen“ ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt. Daneben hat der Verband für seine Mitglieder auch kleine Kärtchen mit arabischen Sätzen als Übersetzungshilfe erstellt. Dort stehen dann Sätze wie „Bitte verlassen Sie die Sauna, Sie dürfen sich hier nicht kurz umsehen.“

Hinweisschilder lösen keine Probleme 

Erziehungswissenschaftler Toprak glaubt nicht, dass solche Hinweiskarten das Problem lösen: „Die Leute sind ja nicht blöd. Die wissen durchaus, dass sie einer Frau auch in Europa nicht einfach an den Hintern fassen dürfen.“ Viel wichtiger seien Integrationskurse, in denen Männer lernen, mit ihrer Sexualität umzugehen und in denen ihnen klar gemacht wird, dass es Verhaltensweisen gibt, die völlig inakzeptabel sind. Dass dieser Weg natürlich deutlich teurer und aufwändiger ist als ein paar Hinweisschildchen, das weiß auch Toprak. Mit Integrationsmaßnahmen seien die Behörden weit hinterher: „Derzeit muss ein Flüchtling sogar auf einen Deutschkurs drei bis sechs Monate warten.“

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) versucht, diese Integrations-Lücke zu schließen: mit Aufklärung. Ende Februar hat die BZgA das Portal Zanzu.de online gestellt. In 13 Sprachen und mithilfe von stilisierten Bildern liefert die Seite Erklärungen zu Themen wie Sex, Verhütung und Beziehungen. „Die Website kann auch von Migrantinnen und Migranten, die noch nicht lange in Deutschland sind und daher noch nicht über ausreichend Deutschkenntnisse verfügen, besucht werden“, so BZgA-Sprecherin Marita Völker-Albert.

Geringes Wissen über „körperliche Vorgänge“

Eigentliche Zielgruppe seien „Multiplikatoren, die erwachsene Migranten beraten oder behandeln. Zum Beispiel Ärzte oder Berater in Schwangerschaftsberatungsstellen“, erklärt Völker-Albert. Gerade bei der Arbeit mit Migranten, die noch nicht lange in Deutschland leben, die Sprache noch nicht beherrschen und die über geringes Wissen im Zusammenhang mit körperlichen Vorgängen verfügen, bräuchten die Fachkräfte unterstützende Materialien: „Das Portal ist für sie eine Arbeitshilfe.“ Derzeit pendle sich die Besucherzahl auf täglich rund 20.000 Besucher ein.

Entscheidend sei aber, dass die Flüchtlinge eine sinnvolle Beschäftigung finden, glaubt Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak: „Als in den 60er Jahren Hunderttausende Gastarbeiter nach Europa kamen, waren das auch vorwiegend junge Männer. Aber die haben acht bis zehn Stunden am Tag gearbeitet und konnten deshalb nicht auf dumme Ideen kommen.“

Dass sich die Probleme rund um männliche Flüchtlinge schnell erledigen, glaubt Toprak nicht: „Die Menschen können sich nicht innerhalb weniger Monate perfekt integrieren. Das ist ein unrealistischer Anspruch. So etwas braucht Zeit, das müssen wir akzeptieren.“