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Bauern kämpfen gegen das Image-Problem der Holland-Tomate

Bauern kämpfen gegen das Image-Problem der Holland-Tomate

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Sie wurde als schnittfestes Wasser verhöhnt, als einfach geschmacklos: Tomaten aus Holland. Seit Jahrzehnten kämpfen niederländische Landwirte gegen das schlechte Image ihres roten Gemüses. Clevere Marketing-Strategen verkaufen den Tomaten-Anbau jetzt als eine eigene Wunderwelt.

Den Haag. 

Eigentlich gibt es keine hässliche Umschreibung von „Holland-Tomate“, die Jos van Mil nicht kennt: Doch „Vierter Aggregatzustand von Wasser“ ist ihm momentan nicht geläufig. „Wir hatten 20 Jahre zurück das Problem mit den so genannten Wasserbomben“, sagt der Marketing-Manager. „Wir haben gelernt, die Konsumenten wollen eine geschmackvolle Tomate.“ Und so präsentiert er in verlockender Absicht in 83 Kisten ebenso viele Sorten: rote und gelbe und pinkfarbene, Fleischtomaten, Naschtomaten, Cocktail-Strauchtomaten und was es alles so gibt, „Amoroso“ heißt diese Sorte, „Mona Lisa“ jene, „Macarena“ – oder auch 72-155 RZ.

Eine namenlose Züchtung, auf Bewährung im Gewächshaus. Wird sie immer gleich groß, gleich schwer und farbecht sein, lange haltbar und eventuell sogar – lecker? Ob 72-155 RZ je das gleißende Licht der Gemüsetheke erblickt, ist unklar.

Dies ist, nahe bei Den Haag, „Tomatoworld“. Gewächshaus, Informationszentrum, Branchentreffpunkt. Damit Sie die überragende Bedeutung von „Tomatenwelt“ richtig einschätzen: Es gibt nichts Vergleichbares in Holland, nicht Blumenkohlwelt, ja nicht einmal die allerkleinste: Gurkenwelt. Doch nun schenken die Gastgeber erst einmal Suppe aus. Tomatensuppe. Welkom!

„Der Geschmack ist besser geworden“

Hollands Tomate hat Imageprobleme. Schmeckt nicht, oder, fast noch schlimmer, schmeckt nach nichts. Und Imageprobleme sind Verkaufsprobleme: 308 Millionen Kilogramm exportierte das Land 2011 nach Deutschland. Da kann man das Jammern getrost mit dem Zusatz „auf hohem Niveau“ versehen, doch sind es 28 Millionen Kilo weniger als 2010. Nun soll die Werbekampagne „My Tomato“ das aufscheinende Desaster wenden: Wobei nach den Unterlagen „zwei Kampagnenstränge dem Konsumenten die Welt der Tomate (eröffnen)“; dazu assistiert eine Dr. Brigitte Bäuerlein (!) mit der typischen Kopfgeburt einer Werbeagentur: „Figurfreundliches Fruchtgemüse.“

Und so haben sie auch Journalisten nach Holland eingeladen, die wunderbare Welt der Tomate auszukundschaften. Eine, glaubt man Bauern und Händlern, in der das geschmacklose Problem nicht nur erkannt sei, sondern nahezu gelöst. „Der Geschmack ist besser geworden, auch wenn wir noch nicht am Ende sind“, sagt etwa van Mil.

Später wird sein Kollege Maarten van der Leeden von der Zucht- und Saatgutfirma Rijk Zwaan erläutern, was die gute Tomate ausmache: die richtige Mischung von Süße und Säure, von Festigkeit und Saftigkeit. „Tomaten sind ein emotionales Thema.“ Jährlich züchteten sie hunderte neue Sorten, es ist ein einziger Angriff der Kullertomaten – auch wenn sich am Ende nur wenige durchsetzten. Rot-schwarze sind im Kommen. Grüne tun sich schwer. „Das wird in Nordwest-Europa immer mit unreif assoziiert.“ Aber, im Vertrauen: 72-163 RZ ist ein echter Kracher, sowas von Cocktailtomate findet man selten.

Wer im Gewächshaus sitzt . . .

Und doch, und doch gibt es die Hollandtomate aus dem Klischee nach wie vor. Die Sonne sieht sie eh nie. Zu früh geerntet, räumt mancher einheimische Fachmann ein, oder: zu wenig Nährlösung zugeführt. Dann: zu langer Transport, zu kalte Lagerung – und schon ist der Geschmack dahin. Schließlich der Geiz vieler deutschen Kunden: Wer nichts bezahlen will, kriegt halt auch nur die billigen Sorten.

In einem Betrieb, der auch spanische Tomaten umverpackt, steht auf den Kisten von den Kanaren keck: „With Flavour“. „Mit Geschmack“. Sie schreiben nicht einmal „Mehr Geschmack“. Nur „Mit Geschmack“. Das ist schon frech. Andererseits fällt einem angesichts der spanischen Herkunft die alte Weisheit ein: Wer im Gewächshaus sitzt . . . Und so rät Branchenkennerin Liesbeth Boekestein dem deutschen Kunden: „Gehen Sie in Ihren Supermarkt und sagen, Sie wissen genau, dass es Tomaten gibt mit Geschmack.“ Frau Boekestein hat freilich gut spötteln. Sie macht inzwischen ganz in Kresse und Kräutern.