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ARD-Zweiteiler „Der Turm“ – die Buddenbrooks der DDR

ARD-Zweiteiler „Der Turm“ – die Buddenbrooks der DDR

Turm ARD
Foto: MDR/teamWorx
Aus Uwe Tellkamps „Der Turm“ wird in der ARD-Verfilmung ein Familienroman. Der Zweiteiler malt ein Sittenbild vom Verröcheln der DDR. Nicht so schmerzhaft genau wie „Das Leben der Anderen“, aber farbgetreu in den Mentalitäten der Menschen.

Essen. 

Das Brandnarbengebirge auf dem Rücken von Jan Josef Liefers ist nur kurz zu sehen. Aber man wird es ähnlich lange in Erinnerung behalten wie Liefers’ milchiges, immer spitzeres Gesicht in diesem Film: Der Mund, der anfangs noch so breit grinste, wenn er den Genossen Klinikdirektor ausgetrickst hatte oder nachts den Weihnachtsbaum eines hohen SED-Kaders aus der Schonung heraussägte, wird von Minute zu Minute schmaler. Und seine sonst so flinken Augen richten sich immer mehr nach innen. Dort erblicken sie den erbärmlichen Charakter eines Karrieristen, der andere Karrieristen als Karrieristen beschimpft.

Was aus dem so begabten, am Ende so vielfältig gescheiterten Dresdener Chirurgen Richard Hoffmann wird, nach der Wende vom 9. November 1989? Klinikchef im Westen? Ein Penner, der sich aus den Trümmern seines Lebens wegsäuft? Denkbar wäre beides, aber der ARD-Zweiteiler „Der Turm“ (3. und 4. Oktober, jeweils 20.15 Uhr) lässt es ebenso offen wie der zugrundeliegende Roman von Uwe Tellkamp.

Dieser „Turm“ malt ein Sittenbild vom Verröcheln der DDR. Nicht so schmerzhaft genau wie „Das Leben der Anderen“, was die Feinmechanik der Unterdrückung angeht, aber farbgetreu in den Mentalitäten der Menschen. Spätestens nach diesem Film weiß man, dass es eine breite Schicht von Bürgern war, die das autoritäre Regime des „Arbeiter- und Bauern“-Staates nicht nur erduldet, sondern getragen hat. Aus dieser Schicht von Bürgern kam am Ende ja auch der Protest, das Aufbegehren, der Umsturz.

Nebenrollen glänzend besetzt

Uwe Tellkamps gut 1000-seitiges Romanpanorama windet sich um das Erwachsenwerden von Hoffmanns Sohn Christian, der ausgerechnet beim Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee vom vorherbestimmten Nachfolger seines Chirurgen-Vaters zum Herrn seiner eigenen Wege wird. Die Verfilmung macht daraus mehr noch einen Familienroman, eine Art Buddenbrooks der DDR-Endzeit.

Der überaus biegsame Richard Hoffmann feiert an Weihnachten gleich zweimal Bescherung, dem Doppelleben mit Geliebter und Töchterchen sei Dank. Das markiert seine persönliche Unersättlichkeit, aber auch die Vielfalt der Nischen im Überwachungsstaat. Hoffmanns Frau Anne (so stark wie schön: Claudia Michelsen) wiederum wird den aufrechten Gang gleich doppelt lernen, als betrogene Ehefrau und in der Bürgerrechtsbewegung.

Etwas kurz kommt in der Verfilmung Dresden

Ihr Bruder, der als Verlagsmensch das Intellektuellen-Milieu mit ins Spiel bringt, findet den Mut dazu nur sehr viel zögerlicher und vielleicht nur, weil er verknallt ist in die Schriftstellerin Judith Schevola – wie fast alle Nebenrollen dieser Verfilmung (mit Götz Schubert und Nadja Uhl etwa) glänzend besetzt: Die ungemein intensive Valery Tscheplanowa ist eine Entdeckung.

Etwas kurz kommt in der Verfilmung Dresden, in der DDR die Hauptstadt im „Tal der Ahnungslosen“, das kein West-TV empfangen konnte. Während der Roman die heruntergekommene Verfalls-Atmosphäre derart intensiv schildert, dass man meint, den Braunkohlenmief wieder in der Nase zu haben, haben die Filmbilder, bei allem Bemühen um Küchen- und Klinik-Einrichtungen der späten DDR, etwas Steriles. Wer mehr über Dresden und seine besondere Rolle erfahren will, sollte sich die dreiviertelstündige Dokumentation im Anschluss an den ersten Teil (Mittwoch, 3. Oktober, 21.45 Uhr) nicht entgehen lassen.

Quotenerfolg für „Der Turm“

7,5 Millionen Zuschauer haben den ersten Teil der ARD-Verfilmung „Der Turm“ gesehen. Das entspricht einem Marktanteil von 21,3 Prozent, wie das Erste am Donnerstag mitteilte.