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Wie ein sächsischer Autozulieferer Volkswagen lahmlegt

Wie ein sächsischer Autozulieferer Volkswagen lahmlegt

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14922C00960E782A.jpg Foto: dpa
Ein kleiner Betrieb im Erzgebirge beliefert den Autokonzern nicht mehr – nun eskaliert die Situation. Doch vor Ort ist man trotzig.

Schönheide ist eines der längsten Dörfer Deutschlands. Über sieben Kilometer erstreckt sich „Scheenhaad“ (so sagen die Einwohner) links und rechts der „Hauptstraße“. Am einen Ende steht eine Tankstelle. Am anderen Ende liegt das riesige Fabrikgelände der ES Automobilguss GmbH. Das sind die Gebäude, die dieses Dorf gerade deutschlandweit bekannt machen. Die Firma mit rund 360 Beschäftigten ist eine von zwei Bauteillieferanten, die Lieferungen an VW eingestellt haben. Weil die Getriebegehäuse aus Schönheide fehlen, können Zehntausende Autos nicht fertiggebaut werden.

Vor einer Woche begann der Streit an die Öffentlichkeit zu dringen. Nun ist er endgültig eskaliert. Am Montag wurde bekannt, dass fast 30.000 VW-Beschäftigte in den kommenden Tagen zu Hause bleiben müssen. Die Bänder stehen still. Den Anfang machte am Montag die Golf-Produktion ausgerechnet im benachbarten Zwickau — auch das Wolfsburger Stammwerk steht zum Teil. Weitere Standorte folgten schnell, inzwischen sind es ein halbes Dutzend.

Einige Arbeiter müssen zuhause bleiben

VW kündigte an, das Kurzarbeitergeld aufzustocken, so dass die Mitarbeiter fast keine Einbußen haben sollen. Aber der Konflikt strahlt längst über die Branche aus: Ökonomen rechnen damit, dass der Produktionsausfall die Wirtschaftsleistung Deutschlands zeitweilig messbar belasten könnte. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Politik eingeschaltet, unter anderem der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Er rief die Beteiligten im Streit zu einer raschen Beilegung des Konflikts auf.

Im Werk in Schönheide hingegen ist es am Montag ruhig. Um 14 Uhr ist Schichtwechsel bei ES Automobilguss. Das Tor öffnet sich, nach und nach kommen Männer im Blaumann aus dem Werk. Einer ruft, die Stimmung sei finster in der Firma. „Wie denn sonst?“ Einer bleibt dann doch kurz stehen und sagt: „Sie können sich doch selbst vorstellen, wie wenig uns gesagt wird.“ Er sagt, die Unsicherheit unter den Kollegen sei das Schlimmste. „Einige wurden gestern angerufen. Ihnen wurde gesagt, dass sie zu Hause bleiben können.“ An diesem Dienstag soll eine Mitarbeiterversammlung Klarheit bringen.

Just als Schichtwechsel in Schönheide ist, setzen sich die streitenden Parteien in Wolfsburg zusammen. Eine gütliche Lösung soll erreicht werden, mehr ist am Abend noch nicht bekannt. Doch eine schnelle Einigung wird schwierig werden, der Streit ist von heftigen Schuldzuweisungen geprägt.

Der Zulieferer sieht sich von VW übers Ohr gehauen

Die eine Seite, die von ES Automobilguss und Car Trim, gibt sich als David. Der Goliath VW missbrauche seine Macht, ein seit Jahren schwelender Konflikt sei nun eskaliert. Das Fass lief wohl Ende Juni über. Damals zog VW den Stecker bei einem Zukunftsprojekt, bei dem Car Trim von 2017 an Sitzbezüge für VW und Porsche liefern sollte. Dabei sei es um eine halbe Milliarde Euro Auftragsvolumen gegangen – selbst für den VW-Konzern keine Kleinigkeit. „Die Art und Weise, wie VW mit Zulieferern umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel und kann jeden kleineren Betrieb in den Ruin treiben“, sagt Alexander Gerstung, Mitglied der Geschäftsleitung bei ES Automobilguss.

Dem Vernehmen nach machte VW Qualitätsmängel geltend. Doch Car Trim war in Vorleistung getreten, etwa mit neuem Personal. Und daher sollte VW einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ als Wiedergutmachung für das plötzlich beendete Projekt zahlen. Nur: Vom Autobauer ist zu hören, dass die Forderungen „absurd hoch“ seien und vor allem nicht nachvollziehbar begründet werden könnten.

Das Problem dabei für Volkswagen: Der Konzern verlässt sich bei Gehäusegussteilen für seine Golf-Automatikgetriebe nur auf den Partner aus Schönheide. Einquellenbeschaffung ist riskant, hilft aber beim Sparen. Doch das Getriebe ist eine Schlüsselstelle: Selbst wenn man auf die Schnelle einen alternativen Zulieferer auftreibt, muss man monatelang testen, bis das Teil in die Serienproduktion darf.

450 Jahre alter Betrieb ist in verworrener Situation

Wie konnte VW bei einem Schlüsselteil wie dem Getriebe so in die Bredouille kommen? Wohl weil etwas geschah, womit der Konzern nicht rechnete. Car Trim ist über die Konstellation einer verschachtelten Dachgesellschaft mit ES Automobilguss verbandelt. Und die Schwesterfirma soll Forderungen an VW auf ES Automobilguss übertragen haben. Von den Zulieferern heißt es, Car Trim und ES Automobilguss seien quasi eine Schicksalsgemeinschaft. Der Fokus fällt dabei auch auf die Eastern Horizon, eine Beteiligungsgesellschaft aus den Niederlanden, die im Firmengeflecht der Prevent-Gruppe auftaucht, zu der Car Trim und ES Automobilguss erst seit einigen Monaten gezählt werden – Eastern Horizon soll noch eine Rechnung mit Volkswagen offen haben. Das ist aber bislang nur Spekulation.

Es ist eine verworrene Situation, in die der sächsische Betrieb da geraten ist – nach langen Jahren der Stabilität. ES Automobilguss feierte erst im vergangenen Jahr das äußerst ungewöhnliche Firmenjubiläum von 450 Jahren. Sie sind in der Region fest verwurzelt und sorgen dafür, dass das Erzgebirge nicht nur auf Erzgebirgskunst und Bürstenmacher setzen muss, die traditionellen Handwerke der Region. Doch die einheimischen Chefs haben das Unternehmen im vergangenen Jahr verkauft.

Wenn man bei ihnen in Schönheide klingelt, einem schönen dreistöckigen Haus nicht weit von der großen Hauptstraße, sind sie zwar freundlich, aber bestimmt: Sie möchten sich zur aktuellen Situation nicht äußern. „Die Firma ist verkauft.“

In dem Ort breitet sich eine gewisse Trotzhaltung aus

Einer, der darüber schon von Amts wegen sprechen muss, ist der Bürgermeister von Schönheide. Kai Wilhelm weiß, wie wichtig ES Automobilguss für seinen Ort ist. Er hatte schon ein schlechtes Gefühl, als sich auf der Gießereistraße vor dem Unternehmen die Lastwagen stauten. „Da wusste ich, da kommt etwas auf uns zu.“ Er halte aber dem Unternehmen „die Stange“, sagt er.

Der 41-Jährige ist parteilos, und auch das hat mit dem Zuliefererwerk zu tun: „Vor zwei Jahren hatte die Firma einen großen Streit mit der IG Metall, und ich hatte versucht, meine Partei, die SPD, dazu zu bringen, hier einmal Präsenz zu zeigen.“ Doch nichts passierte. Er fühlte sich im Stich gelassen und gewann die nächste Wahl alleine. Den neuen bosnischen Eigentümer Nijaz Hastor kennt Kai Wilhelm noch nicht, aber auch das brauche Zeit, sagt er.

Trotzhaltung in Sachsen

Weniger entspannt ist Thomas Knabel, zuständiger IG-Metall-Vertreter aus Zwickau. Er ist um eine diplomatische Ausdrucksweise bemüht, aber es scheint durch, dass er den Lieferstopp für brandgefährlich hält. „Wenn man als kleiner Zulieferer meint, den Kampf mit Volkswagen aufnehmen zu müssen, dann ist das mit Sicherheit nicht mehrheitsfähig.“ Dann bringt er es doch auf den Punkt: „Das ist irre.“

In Schönheide macht sich nun eine Trotzhaltung breit. Geredet wird über fast nichts anderes als VW, ob im Gemüseladen, im Blumenladen, in der Tankstelle. „Die wollen nur Sachsen schlechtmachen“, sagt ein Bewohner. Eine Frau, die sagt, ihr Mann arbeite im Werk, nennt das Verhalten des Zulieferers „schon mutig“. Fast wirkt es, als ob der Goliath in Wolfsburg sich ein paar ganz persönliche Feinde gemacht hat.