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Warum der Energiekonzern RWE auf den Stromhandel setzt

Warum der Energiekonzern RWE auf den Stromhandel setzt

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Foto: Funke Foto Services
Europas größter Energie-Handelssaal befindet sich in Essen. Hier handelt der RWE-Konzern mit Strom, Gas, Kohle und Öl – ein internationales Geschäft.

Essen. 

Der Vergleich zur Frankfurter Börse liegt nahe. In dem weitläufigen Saal reiht sich ein Rechner an den nächsten. Auf großen und kleinen Bildschirmen flimmern Zahlen und Kurse. Den vielen Männern und wenigen Frauen, die ihrer Arbeit nachgehen, ist anzumerken, dass sie permanent zu entscheiden haben, ob sie kaufen oder verkaufen sollen. Doch es ist erstaunlich still in Europas größtem Energie-Handelssaal, den der Energieversorger RWE in Essen betreibt. Geschäfte werden hier nicht auf dem althergebrachten Börsenparkett gemacht, sondern auf einem Teppich, der den Schall schluckt, auch wenn womöglich wieder aufgeregt mit Jakarta oder Mumbai telefoniert wird.

Für unsere Aktion „Hinterm Werkstor“ gewährte RWE unseren Lesern tiefe Einblicke in die Welt der Energiehändler. Die RWE-Handelszentrale, die sich nördlich der Essener Innenstadt befindet, spielt eine wichtige Rolle für den Konzern. Allein im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit rund 1500 Terawattstunden Strom gehandelt. Zum Vergleich: In ganz Deutschland lag der Verbrauch bei 576 Terawattstunden.

Neben Strom handelt RWE auch mit Gas, Kohle, Öl, Biomasse und Kohlendioxid-Zertifikaten. Der mehr als 3800 Quadratmeter große Handelssaal bietet Platz für 300 Beschäftigte, die auf vier riesige Eckbildschirme und 20 weitere Großbildschirme blicken können. Das Kabelwirrwarr unter den Bodenplatten soll rund 70 Kilometer lang sein.

Kaufe billig, verkaufe teuer

Der Händler heißt hier Trader und spricht Englisch. Es gelten die drei Grundsätze: „Buy low, sell high.“ Kaufe billig, verkaufe teuer. „Trading is all about timing.“ Also: Auf den Zeitpunkt kommt es an. Und: „A trader’s word is a trader’s bond.“ Das Wort zählt. Letztere Regel ist von besonderer Bedeutung, da die meisten Geschäfte auch im Internet-Zeitalter telefonisch abgewickelt werden. Sicherheitshalber gibt es Aufzeichnungen aller Telefonate im Handelssaal. Es kommt aber dem Vernehmen nach äußerst selten vor, dass Bänder abgehört werden müssen.

„Wir sind keine Zocker“, sagt Stephanie Möller von der RWE-Tochterfirma Supply & Trading, bei der die Handelsaktivitäten des Energiekonzerns angesiedelt sind. Jedem Händler seien mit Blick auf das Geschäftsvolumen Grenzen gesetzt. Ab einer bestimmten Größenordnung werde die Risikoabteilung informiert.

Büros in New York, Singapur, Mumbai und Jakarta

Aufgabe der Händler ist es mitunter, schon jetzt Strom für den Herbst kommenden Jahres einzukaufen. Bei einigen Lesern bleibt Skepsis. Strom für Monate oder Jahre im Voraus einkaufen? „Da kann ich doch auch gleich würfeln!“ Jedenfalls sind für RWE Physiker, Mathematiker und Ingenieure im Einsatz, um die Händler zu unterstützen. Branchenexperten beobachten die Energiemärkte. Meteorologen analysieren das Wetter, das angesichts der Einspeisung von Sonnen- und Windstrom eine wachsende Bedeutung hat.

Als Faustregel gilt, dass Strom, bevor er aus der Steckdose kommt, rund zehn Mal gehandelt worden ist. „Darum ist er so teuer“, wirft ein Leser ein. Doch auch die Verbraucher können ihre Macht ausspielen, indem sie ihren Stromversorger wechseln. Wettbewerb belebt das Geschäft, das gilt nicht nur im RWE-Handelssaal.

Eine Ausweitung der Handelsaktivitäten ist erklärtes Ziel von RWE. Die Handelstochter Supply & Trading hat bereits Büros in New York, Singapur, Mumbai und Jakarta eröffnet. Jeder Händler soll für die Firma Geld einspielen – je besser ein Trader ist, desto höher ist auch das Gehalt. Der Strom, den Kunden von RWE bekommen, muss nicht unbedingt vom Essener Versorger produziert worden sein. Praktisch im Minutentakt wird die Frage gestellt: „Am Markt einkaufen oder selbst produzieren?“

Jede Menge Nullen

Neben dem Handelssaal befindet sich ein Raum, in dem alle Kraftwerke von RWE in Deutschland gesteuert werden. Auf einem Bildschirm sind jede Menge Nullen zu sehen. Sie stehen für Anlagen, die keinen Strom erzeugen. Insbesondere die Gaskraftwerke stehen still. Die Krise in der Stromerzeugung macht RWE schwer zu schaffen.

Draußen im Foyer wird Optimismus verbreitet. Auf einem bunten Plakat ist „We are RWE“ zu lesen: „Wir sind RWE.“ Das Leitmotiv wirkt wie ein emotionaler Gegenentwurf zum Konkurrenten Eon, der kurz vor der Aufspaltung steht. Ein Leser bleibt sachlich. „Was heißt das jetzt? Aktien kaufen oder Aktien verkaufen?“, fragt er – ganz wie ein Trader.