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Envio-Opfer ziehen mit Star-Anwalt Birkenstock vor Gericht

Envio-Opfer ziehen mit Star-Anwalt Birkenstock vor Gericht

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Promi-Anwalt Reinhard Birkenstock steigt in den Envio-Prozess ein. Sein Ziel: die Entschädigung eines mit krebserregendem PCB vergifteteten Familienvaters aus Lünen. Auch andere Opfer des Envio-Skandals können sich Birkenstocks Nebenklage anschließen.

Dortmund. 

Paukenschlag vor dem Envio-Prozess: Der Kölner Promi-Anwalt Reinhard Birkenstock vertritt einen mit PCB verseuchten Familienvater als Nebenkläger. Der Star-Jurist, der den DDR-Spion Karl Wienand und zuletzt TV-Moderator Jörg Kachelmann verteidigte, will Geld sehen. Sein Ziel: „Ein angemessener Ausgleich für die erlittenen Leiden meines Mandanten, nicht nur durch Worte, auch durch Taten.“ Dafür werde er alle Register ziehen. „Es gibt nichts, was man auslassen sollte“, sagt Birkenstock im WAZ-Interview.

Es ist der Prozess des Jahres in Dortmund am 9. Mai vor dem Landgericht. Angeklagt: vier Männer, vorneweg Envio-Chef Dirk Neupert. Aus Profitgier soll er jahrelang „gegen behördliche Vorgaben verstoßen haben“, sagt die Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe: schwere Umweltstraftaten, 51-fache Körperverletzung. Mindestens 360 Menschen wurden vergiftet infolge des bundesweit größten PCB-Skandals. Männer, Frauen,Kinder haben krebserregende Stoffe im Blut: Dioxine, Furane, PCB, bis zu 25 000 Mal mehr als normal.

Familie schleichend vergiftet

Eines der Opfer ist Christian Althoff, Birkenstocks Mandant. Der 30-jährige Lüner hatte bei Envio gearbeitet und das Gift in der Kleidung mit nach Hause geschleppt – ahnungslos. Ein Drama nahm seinen Lauf. Ehefrau Jacqueline (28) und Sohn Lyo (5) wurden schleichend verseucht. Auch Neal, der Jüngste, ist krank. Samstag hat er Geburtstag, seinen ersten. Neal hat nur noch eine Niere. Die andere war bei der Geburt mit Zysten übersät, später schrumpfte sie und funktionierte bald nicht mehr. Vor drei Monaten musste das Organ entfernt werden. PCB schädigt das Erbgut. Es geht auch an die Nieren.

IG BCE gibt Rechtsschutz

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Viel Angst, viel Wut, wenig Hoffnung – die Althoffs haben dunkle Tage hinter sich. Jetzt ein Lichtblick: Schon der Name Birkenstock nährt Zuversicht. „Ich hoffe, dass es in Deutschland Gerechtigkeit gibt, dass die Schuldigen hart bestraft werden und meine Familie entschädigt“, sagt Jacqueline Althoff. Ein Anwalt dieses Kalibers wäre für sie unrealistisch gewesen. Doch Christian Althoff ist in der IG BCE. Ulrike Märkel, Ratsfrau der Dortmunder Grünen, knüpfte Kontakte zur Gewerkschaft. Die zahlt nun Birkenstocks Honorar. „Es ist selbstverständlich, der Familie Rechtsschutz zu geben“, sagt der stellvertretende IG BCE-Bundesvorsitzende Ulrich Freese. Er ist für Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständig, für Bereiche also, die bei Envio schmählich vernachlässigt wurden. Und Freese ist in Dortmund groß geworden; ein Anreiz mehr für Hygiene in diesem Fall.

Weitere Opfer können aufspringen

Die Nebenklage kann nicht nur Familie Althoff helfen. Birkenstocks Mandat sammelt alle ein, die bei Envio ihre Gesundheit ruinierten. Jeder Leiharbeiter, der für kleines Geld ins Gift geschickt wurde, kann sich anschließen.

Ein Marathon-Prozess kündigt sich an. Weit mehr als die angesetzten 15 Verhandlungstage werden erwartet. Zwölf Rechtsanwälte – allein drei für Neupert – sind bestellt, dazu bisher zehn Gutachter. Publikums- und Medienrummel sind gewiss, zusätzliche Bänke für den großen Schwurgerichtssaal bereits geordert.

Zivilrechtliches Nachspiel

Birkenstock hat im Herstatt-Bank-Prozess und in den Verfahren um den Kölner Parteispendenskandal mitgemischt. Mit der Envio-Nebenklage betritt er Neuland, hoch motiviert: „Es ist nichts Alltägliches“, sagte er der WAZ und sprach von „einer großen Herausforderung, die dieses Verfahren mit sich bringt“. Es gehe um Schuld und Sühne, um Schadenersatz und Schmerzensgeld. Wären Ansprüche nicht im Strafverfahren durchsetzbar, könne es ein Nachspiel geben: in einem Zivilprozess. Der Star-Anwalt schließt nicht aus, dass die Anklage gegen Neupert hochgestuft wird – von einfache auf schwere Körperverletzung.

Neue Ermittlungen möglich

Es sei auch denkbar, dass neue Ermittlungsverfahren eingeleitet oder eingestellte reaktiviert würden. Letzteres könne auch die Bezirksregierung Arnsberg treffen, „solange nichts verjährt ist“. Die Behörde hatte bei der Envio-Überwachung eigene Fehler eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft hatte auch gegen die Bezirksregierung ermittelt, das Verfahren aber eingestellt.

Interview mit Promi-Anwalt Birkenstock: „Ich will Genugtuung für die Opfer – durch Worte und Taten“