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Die kuriose 38-Sekunden-Karriere von Ex-Schalker Laumann

Die kuriose 38-Sekunden-Karriere von Ex-Schalker Laumann

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Foto: WP
  • Rangnick fördert das Talent Joseph Laumann
  • Der Hagener macht eine der kürzesten Karrieren in der Geschichte der Fußball-Bundesliga
  • Die Geschichte mit dem Papst ruiniert seinen Ruf

Hagen. 

38 Sekunden. Ein Windzug in einem Leben. Einer, den Joseph Laumann ewig spüren wird. Der 32-Jährige sitzt in einem Cafe in seiner Heimat Hagen. Er trägt Hemd unter dem Pullover, die dunklen Haare sind raspelkurz geschoren, das Päckchen Zucker für den Cappuccino knetet er, bis das Papier beginnt, sich aufzulösen. Laumann sagt: „Natürlich habe ich mich oft nach dem Warum gefragt.“ Warum es bei diesen 38 Sekunden blieb. Warum er eine der kürzesten Karrieren in der Geschichte der Fußball-Bundesliga machte.

Fußball: Sommer 2005. Laumann ist erst wenige Tage beim FC Schalke 04. Eigentlich war er aus Erkenschwick für die Oberliga-Mannschaft verpflichtet worden. Selbst diesen Anruf vor ein paar Monaten hatte er erst für einen Witz eines Kumpels gehalten. Aber da war wirklich Mike Büskens am Telefon, der Laumann verpflichten wollte. Also war es kein Witz, sondern die Chance, auf die er gewartet hatte. Bisher hatte er in kleinen Vereinen gespielt, beim SSV Hagen, beim FC Iserlohn, bei den Sportfreunden Oestrich-Iserlohn. Schalke – das ist die große weite Welt.

Laumann trifft in S04-Vorbereitung öfter als Kuranyi und Sand

Einige Stars der ersten Mannschaft sind noch nicht zurück in Gelsenkirchen, sie haben Verpflichtungen mit der Nationalmannschaft. Das Profi-Trüppchen wird mit Jungs aus der Reserve aufgefüllt. Es fehlt auch ein Stürmer. Laumann ist Stürmer. Bei einem Testspiel der Profis gegen eine Regionalligisten darf er nach einer Stunde Spielzeit auf den Platz – und schießt drei Tore in zehn Minuten.

Junge, gut gemacht, wie heißt du, wo kommst du her, fragt ihn Ralf Rangnick, der Trainer.

Laumann trainiert leidenschaftlich, Rangnick nimmt ihn mit ins Trainingslager ins österreichische Bad Radkersburg. Der Junge mit den dünnen Beinen schießt elf, zwölf Tore in der Vorbereitung auf die Saison. Mehr als die prominenten Kollegen, mehr als Kevin Kuranyi, mehr als Gerald Asamoah, mehr als Ebbe Sand.

Joe, so nennt ihn Rangnick, wie wär’s mit einem Profivertrag? Laumann bricht das Studium der Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal sofort ab.

Laumann war bei Mini-Einsatz nicht mal am Ball

Schalke hat viel vor in dieser Saison. Aber nun, vor der Partie des siebten Spieltags gegen Hannover 96 am 24. September 2005, sind alle nervös. Seit fünf Spielen ist Schalke ohne Sieg. Laumann musste sich das alles von der Reservebank aus ansehen.

Rangnick vertröstet ihn: Joe, wenn ich dich spielen lasse und es geht schief, dann fallen die Leute über mich her. Spielen die Stars, sind sie in den Schlagzeilen.

An diesem Samstag läuft alles gut. Der brasilianische Spielmacher Lincoln und Kuranyi treffen gegen Hannover, das Spiel ist gelaufen. Rangnick will noch mal wechseln, es ist 17.21 Uhr. Laumann steht bereit. Der Wechsel bringt Schalke noch einmal Zeit. Laumann denkt an die vielen Zuschauer, 60.000 dröhnen dem Spielende entgegen, keiner nimmt so richtig Notiz von ihm. Lincoln verlässt den Platz, Laumann betritt ihn. Er läuft nach links, nach rechts, nach hinten, den Ball bekommt er nicht.

Abpfiff. 38 Sekunden.

Oben auf der Tribüne sitzt Rudi Assauer, damals eine Art Klubpatriarch. Die Gläser seiner Brille sind dezent getönt, das Hemd blassrosa, die qualmende Zigarre dick und teuer. Er blickt zufrieden auf seinen Circus Maximus. Laumann steht auf dem Rasen, er ist glücklich. Rangnick wird ihm später sagen, dass dies erst der Anfang war, dass er bald mehr spielen wird. Der nächste Gegner heißt München. Die Bayern hat Laumann immer schon verehrt.

Training in Ahlen verweigert Laumann

Ein paar Tage sind seit jenen 38 Sekunden vergangen, Laumann weiß nicht, wie ihm geschieht. Solche Schmerzen kennt er nicht. Er bekommt Fieber, Schüttelfrost. Er nimmt Tabletten. Sie helfen nicht. Ein Freund bringt ihn am nächsten Tag nach Schalke zum Mannschaftsarzt . Hirnhautentzündung, diagnostiziert der. Zwei Wochen liegt Joseph Laumann im Krankenhaus, kann sich vor Schmerzen kaum bewegen, kaum essen. Sieben, acht Kilogramm verliert sein schmaler Körper. Zwei Monate dauert es, bis er sich zurückkämpft. Es ist Anfang Dezember. Rangnick, sein Förderer, wird gefeuert. Der neue Trainer heißt Mirko Slomka. Der will andere Spieler.

„Vielleicht hätte ich bleiben sollen“, blickt Laumann zurück. Doch er unterschreibt bei LR Ahlen und hofft, dass der Verein nicht in die dritte Liga absteigt. Er steigt ab. Ein Jahr dritte Liga, sagt er sich. Mehr nicht. Dann wieder nach oben.

Laumann spielt und trifft, ist bester Torjäger der dritten Liga. In der Winterpause kommt ein neuer Trainer, der setzt Laumann auf die Bank. An einem Tag, als die Hose, die er im Training anziehen will, nicht bereit liegt, weigert er sich zu trainieren. „Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist“, meint er heute. Nach nur einem Jahr geht er zum VfB Lübeck, ebenfalls dritte Liga. Das ist weit weg von Westfalen, von den Freunden, der Familie, aber verlockend nah an Hamburg. Nach nur einem halben Jahr hat der Klub kein Geld mehr, ihn zu bezahlen. RW Erfurt? Da macht Laumann nur drei Drittligaspiele, weil sich eine andere Tür zu öffnen scheint.

Vitesse Arnheim meldet sich im Mai 2008 bei ihm. Holländische erste Liga. Das ist eine Chance.

Wie Laumann zur Lachnummer der Nation wurde 

Der Verein lädt Laumann zu einem Probetraining und zu einem Test-Kick. Der Hagener will hin, aber Erfurt verbietet es. Laumann lässt sich krankschreiben und fährt. Er braucht einen Decknamen. Joseph, überlegt der Vitesse-Manager, der Hotelzimmer buchen muss, Joseph … Ratzinger. Das, lacht er, könne er sich wenigstens gut merken.

Ratzinger trainiert gut, Ratzinger spielt gut. Sein Berater ruft ihn nach dem Spiel an, um zu sagen, dass er ausgehen und mit seinen zukünftigen Mannschaftskollegen feiern solle: Vitesse wolle ihn verpflichten. Der Vertrag kann in den kommenden Tagen unterschrieben werden.

Der neue Mann, der heißt wie der Papst, interessiert die niederländische Presse. 200 Anrufe laufen auf Laumanns Handy an dem Tag auf, an dem alles auffliegt. Er will mit niemandem sprechen.

Mit dem Rauswurf in Erfurt platzt der große Traum

„Wahrscheinlich sitzt er im Petersdom und hat keinen Empfang“, ätzt Erfurts Manager via Boulevard. „Ich war plötzlich der dümmste Kicker Deutschlands, eine Lachnummer“, sagt Laumann.

Vitesse erhält eine empfindliche Strafe vom Verband, Laumann wird in Erfurt gekündigt. Sein Wechsel? Natürlich geplatzt. Sein Traum von der großen Karriere? Ebenfalls geplatzt. Laumanns Ruf ist ruiniert.

Lange hat er es zerdacht, die Puzzlestücke vor sich ausgebreitet, sie wieder zusammengesetzt, in der Hoffnung, eine Antwort zu finden auf die Frage nach dem Warum. Laumann weiß, dass es kein Zufall sein kann, wenn man wie er mit jedem zweiten Trainer aneinander gerät. Impulsiv sei er gewesen, sagt er. Und jung. Vielleicht zu jung. „Mit dem Kopf von heute und dem Körper von damals hätte ich es vielleicht geschafft“, sagt er. Manche seiner ehemaligen Mitspieler haben es mit deutlich weniger Talent in der zweiten Liga zu erheblichem Wohlstand gebracht. „Es gab eine Zeit, in der das weh tat“, sagt er und lächelt ein Lächeln, das nicht erzwungen wirkt: „Aber ich bin zufrieden. Ich habe viel gelernt fürs Leben.“

Andere schöne Dinge

Die Bundesliga ist eine bizarre Branche. Ein weiteres Mal Glück oder wenigstens einmal weniger Pech – und dann wäre alles anders gekommen? Laumann hat entschieden, sich von solchen Fragen nicht verrückt machen zu lassen. Die Bilder und Erinnerungsstücke hat er irgendwann von den Wänden in seiner Wohnung genommen. „Was war, ist vorbei“, sagt er, „es gibt jetzt andere schöne Dinge in meinem Leben.“ Er hat Familie, eine Tochter, die anderthalb ist. Und eine neue Aufgabe. Seit Beginn des Jahres arbeitet Laumann für die Sportfreunde Lotte. Der frühere Profi ist Co-Trainer des Regionalliga-Zweiten. Der Job macht ihm Spaß. Er wird so schnell wie möglich die Lizenzen machen, die es benötigt, um Profi-Trainer zu sein. Dann will Joseph Laumann zurück in die Bundesliga. Für länger als 38 Sekunden.