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Warum der Londoner Stadtfuchs immer dreister wird

Warum der Londoner Stadtfuchs immer dreister wird

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Foto: action press
10.000 Tiere sollen in der britischen Metropole leben – und sie haben viele Fans. Aber sie werden immer frecher. Ein Baby wurde bereits gebissen.

London. 

Der Londoner Stadtfuchs wird immer dreister. Vor kurzem stolzierte ein Prachtexemplar der Spezies Vulpes vulpes mitten durch die Downing Street, den Amtssitz des Premierministers. Und das nicht etwas nächtens, im Schutz der Dunkelheit, sondern am helllichten Tag, so dass eine Nachrichtenagentur ihn auch gebührend ablichten konnte. Viele Londoner fanden das Foto niedlich und freuten sich, dass Wildtiere sich im Herzen der Metropole heimisch fühlen können.

„Sie mögen knuddelig aussehen, aber sie sind Ungeziefer“

Andere dagegen stöhnten auf. Für sie ist der Rotfuchs ein einziges Ärgernis. Er gräbt ihnen die Vorgärten um, lässt stinkende Kothaufen zurück, unterbricht die Nachtruhe mit gellenden Schreien und greift Haustiere an. Vor zwei Jahren drang ein Stadtfuchs sogar in eine Wohnung in Bromley, Südlondon, ein, zerrte ein Baby aus seiner Wiege und biss ihm einen Finger ab. „Füchse mögen knuddelig aussehen“, sagte der Londoner Bürgermeister Boris Johnson nach dem Vorfall, „aber sie sind auch Ungeziefer und eine Plage.“ Als seine eigene Katze kürzlich von einem Fuchs zerfleischt wurde, wurde Johnson so wütend, dass er am liebsten seine „Büchse hervorholen und rumballern“ würde.

Dafür gibt es jetzt Spezialisten. Londoner können sich Scharfschützen ins Haus bestellen, die für 75 Pfund (etwa 95 Euro) einen Fuchs im Garten erlegen. Jedes weitere Tier kostet 50 Pfund, Entsorgung der Kadaver inklusive. Der Service ist legal, aber nicht unumstritten. Der Fuchs hat eine mächtige Lobby von Tierfreunden. Kein Wunder in einem Land, das weltweit die älteste Tradition von Tierrechten hat. Die „Königliche Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeit gegen Tiere“ wurde 1824 gegründet, neun Jahre bevor das britische Empire die Sklaverei abschaffte. Wer Meister Reineke an den Kragen geht, wird selbst bedroht.

Daher will Phil, der aus dem Abschießen von Füchsen einen Lebensunterhalt macht, lieber auch nicht seinen Nachnamen nennen. „Ich möchte nicht“, sagt er, „dass jemand meine Reifen zersticht oder mein Haus in Brand setzt.“

Trotz aller Angriffe hat der Rotrock eine starke Lobby

Selbst nach den Angriffen auf Menschen, die Rotfüchse verübten, ist der Drang groß, zu diesen Kleinräubern ein sentimentales Verhältnis haben zu wollen. Als im Juni 2010 ein Stadtfuchs zwei neun Monate alte Zwillingsschwestern im Londoner Stadtteil Hackney attackierte, wurden die Eltern beschuldigt, die Story erfunden zu haben und erhielten Drohungen. Es gibt Wohlfahrtsorganisationen wie das „Fox Project“, die Ratschläge geben, wie man Fuchsräude therapieren kann, und besonders tierliebende Zeitgenossen können sich eine Notfallnummer für eine „Fuchs-Ambulanz“ notieren.

Die Plage wird akut, weil es in London so viele Füchse gibt. Man schätzt, dass sich in der Stadt rund 10.000 Exemplare herumtreiben. Sie finden Unterschlupf in Gärten, Parks oder in grünen Korridoren wie Bahntrassen.

Menschen ermutigen die Tiere, indem sie sie füttern

Der Stadtfuchs ist auch kein besonders neues Phänomen, zumindest nicht in London. Schon seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sich die Londoner Vorstädte ausbreiteten, zogen Füchse in die Menschensiedlungen. Ihre Anzahl, so der Umweltwissenschaftler Professor Stephen Harris, „hat sich in den letzten fünfzig Jahren auch nicht groß verändert“. Was anders geworden ist, so Harris, sei das Verhalten der Menschen: Die würden jetzt versuchen, die Rotröcke zu zähmen und sie zu füttern. Das sei „völlig lächerlich“, weil es die Tiere ermutige, auf der Suche nach Futter immer häufiger auch in menschliche Wohnungen einzudringen.