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Hannelore Kraft zeigt sich gern als Frau aus dem Volk

Hannelore Kraft ist gern die Frau aus dem Volk

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Foto: ddp
Die bei aller Volkstümlichkeit nüchtern kalkulierende Sozialdemokratin Hannelore Kraft hat den Faktor TV-Unterhaltung für ihren Bekanntheitsgrad und politischen Marktwert nicht erst bei Pilawa entdeckt. Ob Krafts Amt ihr nicht auch einen distanzierteren Stil abverlangt, an dieser Frage scheiden sich die Geister.

Düsseldorf. 

Von Jürgen Rüttgers kennt man die Anekdote mit der Spülmaschine, die er seiner Frau wahrscheinlich im­mer noch nicht gekauft hat. Oder doch? Man wusste auch, dass er seine rare Freizeit gern im Baumarkt verbringt. Ach ja, dann gab es noch das Haus in der Provence.

Viel mehr war nicht bekannt über das private Leben des CDU-Ministerpräsidenten. Ganz anders: die Nachfolgerin. „Mein Leben ist eine Geschichte aus NRW“, verkündete Hannelore Kraft schon vor der Landtagswahl 2010. Damals muss sie sich vorgenommen haben, es allen zu erzählen.

Am Mittwochabend hörte das Publikum bundesweit zu. Im ZDF-Quiz „Rette die Million“ griff Kraft die Stichworte von Jörg Pilawa dankbar auf, verwandelte sie in kleine Erzählungen. Während sie und ihr Ehemann Udo mit dicken Geldbündeln hantierten und zum Beispiel die heikle Frage beantworten mussten, ob ein Spermium schneller zur Eizelle kommt als Reiner Calmund ans Büfett, erfuhr man nebenbei so allerhand aus der Vita Kraft, geb. Külzhammer.

Faktor TV-Unterhaltung nicht erst bei Pilawa entdeckt

Man weiß nicht, ob Sohn Jan auf Mallorca, wo er gerade sein Abitur feiert, per Satellit bei Pilawa zugeschaltet war. Was man jetzt weiß: sein Notenschnitt ist besser als der seiner Mutter (2,4). Der 20-jährige Ehevertrag der Krafts, die sich im Karneval näherkamen („er saß näher an der Theke“), läuft bald aus. „Nächstes Jahr müssen wir neu verhandeln“, sagt Kraft. Nun denkt man daran, die Ehe auch kirchlich zu besiegeln. Am Sonntag wird die Regierungschefin 50, aber gefeiert wird nicht, weil ihr Vater in diesem Alter starb.

Selbst Spötter und Anhänger der These, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können, kamen auf ihre Kosten. Ausgerechnet an der Frage, ob im Jahre 1990 der 200-Mark-Schein in Deutschland eingeführt wurde oder nicht (er wurde), scheiterte Kraft, was sie mit „Scheiße!“ kommentierte. Ihre Lust auf weitere Auftritte in Fernsehshows, die sicher kommen werden, wird das eher beflügeln. Denn die bei aller Volkstümlichkeit nüchtern kalkulierende Sozialdemokratin hat den Faktor TV-Unterhaltung für ihren Bekanntheitsgrad und politischen Marktwert nicht erst bei Pilawa entdeckt.

Kleine Privatgeschichten besser als sperrige Politik-Details

Was für viele Normalverbraucher ein Novum sein mag, ist Beobachtern der Düsseldorfer Szene vertraut. Kraft hat sich kein neues Image zugelegt. Sie hat nie umständlich geredet wie Edmund Stoiber, nicht den Staatsmann gegeben wie Rüttgers es manchmal tat. Sie schwebt nicht. Schon vor eineinhalb Jahren warf die NRW-SPD eine Broschüre unter das Wahlvolk, in der man nachlesen kann, wie Kraft privat gesehen werden möchte. Schon damals gab sie auf Veranstaltungen zum Besten, dass sie sich später ein Leben in einer Alters-WG vorstellen kann oder dass auf ih­rem Grabstein „Carpe Diem“ stehen soll.

Die Politik sei eine „Schlangengrube“, sagt die Seiteneinsteigerin gelegentlich. Man muss bilanzieren, dass Kraft in dieser Grube bisher ganz passabel zurechtkommt. Und sie hat zügig begriffen, dass man das breite Publikum und den flüchtigen Polit-Konsumenten mit einer kleinen Episode vom letzten Familienurlaub eher für sich erwärmen kann als mit sperrigen Details des, sagen wir mal, Landespersonalvertretungsgesetzes.

Ob Krafts Amt ihr nicht auch einen distanzierteren Stil abverlangt, an dieser Frage scheiden sich die Geister. Muss man Revierdeutsch pflegen, um als authentisch zu gelten? Muss eine Ministerpräsidentin repräsentativer auftreten als eine Oppositions-Chefin? Vornehmer reden? Wie Kraft wirkt, wie sie ankommt, entnimmt sie den Meinungsumfragen. Wie alle Politiker. Das ist die Messlatte.

War Kraffts Auftritt in Ordnung?

Pro – Von Tobias Blasius

Spitzenpolitiker gelten gemeinhin als lebensfern, weil Vorzimmer, Dienstlimousinen und Privilegien sie vom Alltag breiter Bevölkerungsschichten entfremdet haben. Wehe aber, eine Mächtige wie NRW-Ministerpräsidentin Kraft spricht, lacht und flucht vor einem Millionenpublikum wie Hannelore aus Mülheim. Dann wird reflexartig auf der Goldwaage des floskelhaften Politikjargons abgemessen, ob womöglich die Würde des Amtes verletzt worden sein könnte.

Gewiss lässt sich streiten, ob eine Regierungschefin nebst Ehemann in einer zuweilen etwas zotigen Unterhaltungssendung zwischen Karl Dall und Horst Lichter gut aufgehoben ist. Doch Kraft wirkte unverstellt und nahbar, was man nicht von vielen Politikern dieser Sphäre sagen kann. Solange derartige Ausflüge ins Show-Reich die Ausnahme bleiben, sind sie völlig in Ordnung.

Contra – Von Petra Koruhn

Frau Kraft hat sich verzockt; nicht nur, was die Million angeht. Eine Landesmutter mit Hang zum Herrenwitz – das hatte großes Fremdschäm-Potenzial.

Natürlich darf eine Ministerpräsidentin witzig sein (am liebsten immer), doch bekanntlich sind Altherrenwitze das Gegenteil von originell. Dieses nervige Spermientheater, dann die Betrachtung über „zwanzig Zentimeter“, die sich natürlich auch wieder auf den Bereich unter der Gürtellinie bezogen – schlicht peinlich. Es ist eine Frage des Stils, wie man Privates öffentlich macht.

Denken wir doch nur mal daran, als Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Gottschalk auftrat – er blieb trotz Charme-Offensive immer Staatsmann, auch als er die Dame aus dem Publikum nach Haus fuhr. Frau Kraft hat sich vom Boulevard verführen lassen: Zote für die Quote.