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Verletzte Kinder bei Protest gegen Stuttgart 21

Verletzte Kinder bei Protest gegen Stuttgart 21

Stuttgart. 

Der Streit um den umstrittenen Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes ist eskaliert. Die Polizei ging mit Wasserwerfen und Reizgas gegen Demonstranten vor. Stuttgarts OB Schuster räumt ein, dass auch Kinder unter den zahlreichen Verletzten seien.

Die Proteste gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ sind am Donnerstag gewalttätig eskaliert. Bei Absperrungen für Baumfällarbeiten im Stuttgarter Schlossgarten setzte die Polizei gegen die Demonstranten auch Wasserwerfer und Pfefferspray ein, um deren Blockaden zu lösen. Die Demonstranten selbst sprachen von mehreren Hundert Verletzten, die Polizei von 116. Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) wies die Schuld für die Eskalation den Demonstranten zu.

In der Nacht sollten die ersten von knapp 300 Bäumen im Schlossgarten gefällt werden. Am Abend holte die Polizei erste Demonstranten aus den Kronen der Bäume. Allgemein wurden weitere Protestaktionen für die Nacht und das bevorstehende Wochenende erwartet.

Nach Polizeiangaben setzten die Einsatzkräfte, die aus vier Bundesländern zusammengezogen wurden, „vereinzelt“ Pfefferspray gegen die Tausende Demonstranten ein. Die Protestierer seien auf Einsatzfahrzeuge geklettert, hätten diese blockiert oder das Aufstellen von Absperrgittern behindert, schrieb die Polizei. Einzelne Teilnehmer hätten zudem Reizgas gegen die Polizisten eingesetzt und sie dadurch verletzt. Vereinzelt seien auch Steine auf sie geworfen worden. 99 Personen hätten sich bislang bei den Behandlungsplätzen des Deutschen Roten Kreuzes gemeldet. Davon hätten rund 80 Menschen wegen gereizter Augen behandelt werden müssen. Zehn wurden ins Krankenhaus gebracht, 106 wurden ambulant behandelt. Unter den Verletzten waren der Polizei zufolge sechs Minderjährige: vier 16-Jährige, ein 14-Jähriger und ein 12-Jähriger.

Die „Stuttgart 21“-Gegner sprachen dagegen von mehreren hundert Verletzten. Insgesamt hätten bis zum späten Nachmittag etwa 1.000 Menschen Augenverletzungen erlitten, teilten die Projektgegner mit. Hinzu kämen etliche Prellungen, Platzwunden, Verletzungen an Bändern und andere Verletzungen. Bei einer minderjährigen Demonstrantin sei eine Gehirnerschütterung festgestellt worden. Die Krankenhäuser in Stuttgart seien überlastet. Die Polizei sei mit Reizgas, Schlagstöcken und Tritten gegen die „friedlichen“ Demonstranten vorgegangen. „Die Polizei ist extrem aggressiv“, kritisierte eine Sprecherin der Demonstranten.

Recht „entsetzt über die Aggression“

Innenminister Rech verteidigte das Vorgehen der Einsatzkräfte. Die Polizei sei aus einer angemeldeten Schülerdemonstration heraus mit Pfefferspray und Pflastersteinen angegriffen worden sei, fasste Ministeriumssprecherin Alice Loyson-Siemereng die Erkenntnisse Rechs zusammen, der zuvor die Einsatzkräfte vor Ort besucht hatte. Rech habe sich „entsetzt über die Aggression aus einer Schülerdemonstration heraus“ gezeigt. Die Teilnehmer hätten sofort die „Einsatzmaßnahme gestört“ und beispielsweise Bänke aus einem Biergarten zu Barrikaden umfunktioniert sowie Reifen von Polizei-Lastwagen zerstochen.

Als die Beamten mit Pfefferspray besprüht und mit Pflastersteinen beworfen worden seien, habe die Polizei „ihre Deeskalationsstrategie nicht weiterführen“ können und zunächst „einfache körperliche Gewalt“ angewendet. Später seien die Einsatzkräfte ihrerseits mit Pfefferspray und Wasserwerfern gegen die Protestierer vorgegangen, schließlich hätten sie die Demonstranten weggetragen.

„Die Aggression ging von den Demonstranten aus und nicht von den Einsatzkräften“, zitierte die Sprecherin den Minister. Meldungen, dass eine Frau bei dem Einsatz zu Tode gekommen sei, nannte sie „eindeutig falsch“. Auch die Polizei dementierte dies. Zu weiteren Meldungen, nach denen ein Demonstrant sein Augenlicht verloren habe, konnte Loyson-Siemereng nichts sagen.

Am späten Donnerstagabend zog Ministeriumssprecherin Alice Loysen-Siemereng zog entsprechende Angaben am Abend auf dapd-Anfrage zurück. Mitglieder einer Schülerdemonstration hätten nun doch nicht, wie vom Landesinnenministerium zunächst angegeben, Pflastersteine auf Polizisten geworfen. Das Innenministerium hatte unter anderem mit den angeblichen Steinwürfen den harten Einsatz der Polizei gegen die Schüler gerechtfertigt.

Dagegen räumte der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) indirekt ein, dass bei dem Polizeieinsatz Kinder verletzt wurden. „Es war ein trauriger Tag für Stuttgart.“ Die Vorkommnisse müssten geprüft werden. „Ich bedauere sehr, dass Menschen verletzt wurden und vor allem dass Kinder und Jugendliche zu Schaden gekommen sind“, erklärte er.

Bundestag befasst sich mit Gewalt bei Demonstration

Der Bundestag will sich am Freitag mit der Gewalt bei der Demonstration befassen. Der Innenausschuss des Parlaments kommt am Morgen (8 Uhr) zu einer Sondersitzung auf Antrag der Linken zusammen. Grünen-Sprecher Michael Schroeren erklärte darüber hinaus, seine Partei habe eine Vereinbarte Debatte im Plenum beantragt. Sie solle auch noch am Freitag stattfinden.(dapd)