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Die Piraten vom Niederrhein

Beim Stammtisch der Piraten vom Niederrhein

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Foto: WAZ FotoPool

Weeze. 

Auf dem platten Land fällt es der Netzpartei noch schwer, mit ihren Themen den Nerv der Bevölkerung zu treffen.Deshalb wollen sie verstärkt auf lokalpolitische Themen setzen.

Der 18. September war ein Feiertag für Ansgar Thüs. Es ist der Wahlsonntag in Berlin. Und als abends feststeht, dass die Piratenpartei mit sensationellen 8,9 Prozent in den ersten deutschen Landtag einzieht, streift sich der 30-Jährige aus Weeze sein orangefarbenes Piraten-T-Shirt über und stellt sich in der Dorfkneipe zu den Stammgästen an die Theke. „Das war eine große Genugtuung“, sagt der zweite Vorsitzende des Klever Kreisverbandes der Piratenpartei: „Denn als Pirat hat man es nicht gerade leicht auf dem Land.“

Der Niederrhein tickt eben anders als Berlin oder die Großstädte im Ruhrgebiet: Von den gut 1900 Mitgliedern der nordrhein-westfälischen Piratenpartei kommen ganze 23 aus dem Kreis Kleve. Mit vielen ihrer Kernthemen wie informelle Selbstbestimmung, Datenschutz oder Freiheit im Internet trifft die Netzpartei zwar den Nerv von jungen Leuten in der Großstadt. Aber nicht unbedingt den der Menschen auf dem Land. „Wenn man sich hier früher als Pirat zu erkennen gegeben hat, wurde man entweder belächelt oder sogar angefeindet“, sagt Thüs. Früher heißt: vor der Berlin-Wahl. „Denn mittlerweile interessieren sich viele Leute für unsere Arbeit.“

Davon ist an diesem Abend nicht viel zu sehen. Eigentlich ist der Piratenstammtisch als offenes Treffen mit Sympathisanten gedacht. Aber bis auf die drei Parteifreunde Jorgos Tsichlakis (45), Heinz-Jürgen Heine (53) und Rolf Bernards (36) ist niemand in die Dorfkneipe gekommen.

Wer sich die Piraten als einen Haufen komischer Computerfreaks vorstellt, irrt. Tsichlakis ist Polizist, Heine hat Schlosser gelernt und Bernards verdient sein Geld als Automechaniker und Fernfahrer. Nur Thüs arbeitet als Selbstständiger in der IT-Branche. Der Einzige, der eine politische Vorgeschichte hat, ist Tsichlakis. Er war Kreisvorsitzender der Linkspartei, bevor er zu den Piraten kam.

Warum sie ausgerechnet bei den Piraten heimisch geworden sind? Einerseits natürlich aus politischen Gründen: „Die Internetpolitik der etablierten Parteien ist eine Katastrophe“, finden sie alle. Andererseits haben sie aber auch das unverbrauchte Image der Piraten und ihre flachen Hierarchien angezogen.

Lokale Themen stehen auf der Agenda

Das Gespräch am Stammtisch dreht sich gerade um die lokale Verkehrspolitik. Die Piraten reden über die schlechte Anbindung des Weezer Flughafens. Über den eingestellten Nachtbus, der die Jugendlichen am Wochenende in die nahe gelegenen Discos und wieder nach Hause brachte. Und über den Schnellbus ins benachbarte Nimwegen, der gar nicht schnell ist, weil er an jeder Milchkanne hält. „Nur mit Netzpolitik lockst du hier niemanden hinter dem Ofen hervor“, sagt Thüs und erzählt, dass auch die Themen Landärztemangel und erneuerbare Energien auf der Agenda der Klever Piraten stünden. Fertige Konzepte gebe es aber noch nicht.

Es ist kurz vor neun, als die Tür aufgeht und Michele Marsching hereinkommt. Der Landesvorsitzende der Piratenpartei lässt sich in einen Stuhl fallen und bestellt ein Bier. Den ganzen Tag war er im Auftrag der Partei unterwegs, um über das neue Parteiprogramm zu diskutieren. An Feierabend ist auch jetzt noch nicht zu denken. Marsching zieht das iPad 2 zu sich heran und kontrolliert auf dem Computer seine E-Mails. Ein Sympathisant fragt an, was die Piraten eigentlich für Menschen über 45 tun wollen. „Was soll ich ihm jetzt antworten?“, fragt er in die Runde. Ratlose Gesichter. „Bei uns ist alles im Fluss und auf viele Fragen müssen wir erst noch Antworten finden“, gibt der Landesvorsitzende unumwunden zu.

„Auf viele Fragen müssen wir noch Antworten finden“

Seit 2009 ist der IT-Fachmann in der Piratenpartei; seit diesem Februar leitet er den Landesverband. Als gebürtiger Essener, der mittlerweile in Weeze lebt, kennt er den Unterschied zwischen Stadt und Land. „Die Strukturen hier sind anders. Wenn man es hart ausdrückt, sind wir Piraten der Rand der Gesellschaft“, sagt Marsching. „So ist das nun mal, wenn du auf dem Land nicht im Schützenverein oder in der Freiwilligen Feuerwehr bist.“

Trotzdem ist Marsching überzeugt, dass die Piraten auch am Niederrhein langfristig erfolgreich sein können. „Die Menschen fühlen sich von den etablierten Parteien nicht mehr ernst genommen und merken, dass wir sie mit offenen Armen empfangen.“ Die Suche nach Lösungen wird aber wohl noch dauern. „Wir schauen uns auch die Programme der anderen Parteien an. Und wenn etwas gut ist, übernehmen wir das.“