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„Götterdämmerung“ begeistert Besucher im Schloss Herrenchiemsee

„Götterdämmerung“ im Schloss Herrenchiemsee

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Im Rahmen des Ludwig-Jahr 2011 hat das Haus der Bayerischen Geschichte die Landesausstellung „Götterdämmerung“ im Neuen Schloss Herrenchiemsee konzipiert. Die Besucher bekommen dort die Möglichkeit, sich mit dem Leben König Ludwigs II zu befassen.

Breitbrunn. 

Franz Burghardt trägt Lederhosen, spricht so, dass ihn der Preuße kaum verstehen kann und würde den Chiemgau niemals im Leben freiwillig verlassen. Das Konterfeit König Ludwigs II. auf dem Latz seiner Hosenträger ist kein Werbegag zum Ludwig-Jahr 2011, das der Freistaat 125 Jahre nach dem Tod des Monarchen am 13. Juni 1896 ausgerufen hat. Es gehört seit ewigen Zeiten zur Tracht der Breitbrunner. Die kleine Gemeinde gegenüber der Herreninsel fühlt sich dem Kini besonders verbunden. Das halbe Dorf, der männliche Teil, hat damals mitgearbeitet, als Ludwig II. das Neue Schloss Herrenchiemsee bauen ließ. Im Schloss findet die zentrale Veranstaltung im Jubiläumsjahr statt: „Götterdämmerung“, die große Landesausstellung konzipiert vom Haus der Bayerischen Geschichte.

Immer wenn der König die Bauarbeiten am Neuen Schloss kontrollieren wollte, ließ er sich vom Urfahrner Spitz, der kleinen Halbinsel, die bei Breitbrunn in den Chiemsee ragt, zur Herreninsel hinüberrudern. Und wenn Ludwigs Kutsche im Anrollen war, bekamen die Breitbrunner die strikte Order, die Fensterläden zu schließen. „Ludwig II. wollte auf keinen Fall gesehen werden, deshalb reiste er auch bei Dunkelheit. Aber natürlich waren die Leute neugierig und haben sich hinter der Gardine versteckt“, erzählt Burghardt, der pensionierte Flussmeister und passionierte Heimatforscher. Im Ludwigjahr 2011 führt er interessierte Gäste jeden Donnerstag durchs Dorf, und zwar unter dem Motto: „Psstt, da Kini kimmt“. Denn die schillernde Persönlichkeit des menschenscheuen Monarchen und vor allem sein rätselhafter Tod fasziniert die Nachwelt immer noch.

Popstar unter den deutschen Monarchen

Anders als der mondsüchtige Märchenkönig wählen wir für die Überfahrt zur Herreninsel den hellen Tag. Am Steg in Gstadt flattern die König-Ludwig-Fahnen im Andy-Warhol-Stil, die für die Ausstellung werben, mit den traditionellen weiß-blauen Bannern um die Wette. Plakate kündigen königliches Kabarett: „Ein echter König geht nicht unter“, Restaurants das Königsmenü an. Eine Broschüre mit einem schnicken jungen Ludwig auf dem E-Bike offeriert „Radeln wie ein König“. Der Chiemgau schwimmt auf der Ludwig-Welle. Davon unbeeindruckt liegt die Kampenwand im Morgendunst und das Wasser schimmert smaragdgrün – märchenhaft schön.

Die MS Ludwig Fessler ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gut, dass dem Kini dieser Anblick erspart bleibt. Zu seinen Lebzeiten durften nur einige wenige Auserwählte sein bayerische Versailles besuchen. Das alte Schloss gegenüber dem Anlegesteg, ein ehemaliger Augustiner Chorherrenstift aus dem Jahr 1130, lassen die meisten Touristen links liegen. Die Chiemsee-Maler und die Ausstellung übers Grundgesetz, das hier vorbereitet wurde, interessieren jetzt nicht. Ludwig, der Popstar unter den deutschen Monarchen, und sein Märchenschloss, wahlweise in 20 Minuten zu Fuß oder in der Hälfte der Zeit per Kutsche zu erreichen, zieht die Menge magisch an. Nur 20 von 70 Räumen sind fertig geworden, dann ging dem Monarchen das Geld aus. Die „Götterdämmerung“ – der Titel weist auf die Nähe Königs Ludwigs zu Richard Wagner hin – wird im bisher unzugänglichen Rohbau des Nordflügels gezeigt. Die rohen Ziegelmauern dort stehen in krassem Gegensatz zum prächtigen Spiegelsaal und zum Prunkschlafzimmer. „Das teuerste Schlafzimmer des Jahrhunderts“, so Dr. Peter Wolf vom Haus der Bayerischen Geschichte, wurde vorm Jubiläum noch mal gründlich aufpoliert und glänzt umso güldener.

Traumwelt aus Gold und Kristall

Leben wollte Ludwig in all’ dem Prunk nie. Vielmehr baute er Herrenchiemsee als Hommage an sein großes Vorbild Ludwig XIV., den Sonnenkönig. Der Wittelsbacher, der nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Max II. bereits mit 18 Jahren die Regierungsgeschäfte übernehmen musste, schuf sich hier ebenso wie mit Neuschwanstein und Linderhof eine Traumwelt aus Gold und Kristall. Eine Art Second life, in dem der unglückliche Regent der politischen Wirklichkeit entfliehen konnte, wie es der Historiker Wolf formuliert.

Die Götterdämmerung ist als Königsdrama in fünf Akten inszeniert, mit allen möglichen multimedialen Finessen. Der Besucher erlebt, wie Ludwig König wurde, wie er den Deutschen Kaiser über sich gesetzt bekam, seine Gegenwelten mit Schlössern und im Theater schuf, wie er starb und zum Mythos wurde. Man kann den Königsschlitten anschauen, das erste elektrisch beleuchtete Fahrzeug in Bayern, in dem sich der Technik-Freak Ludwig nachts durch die einsamen Winterwälder kutschieren ließ. Eine 3-D-Animation zeigt königliche Projekte, die nie verwirklicht wurden: die Pfauen-Seilbahn über den Alpsee oder einen Chinesischen Palast, den der König in der Nähe von Schloss Linderhof in den Ammergauer Alpen geplant hatte. Die Vision von der Seilbahn wurde damals übrigens als ein Indiz für Ludwigs angeblichen Wahnsinn – die Grundlage für die Entmündigung und Entzug der Herschergewalt – herangezogen.

Magische Anziehungskraft von Klatsch und Tratsch

Über das Klischee vom spinnerten und verschwendungssüchtigen König bietet die Ausstellung reichlich Gelegenheit, sich mit anderen Facetten seiner Persönlichkeit zu befassen. War Ludwig ein Pazifist, weil er den Krieg verabscheute, den er an der Seite Preußens gezwungenermaßen gegen Frankreich, das Land, das er bewunderte, führen musste? Kann man ihn als ersten Umweltschützer sehen, weil er die Herreninsel 1873 von einem Holzhändler-Konsortium abkaufte und so den weiteren Kahlschlag verhinderte?

Würde draußen nicht die herrliche Parklandschaft der Insel mit den Wasserspielen und dem altem Baumbestand locken, könnte man Tage in der „Götterdämmerung“ verbringen. Sich dort in die historische Realität, die Kriege und das beginnende Industriezeitalter vertiefen. Oder der magischen Anziehungskraft von Klatsch und Tratsch erliegen – also lustvoll an den Mythos-Stationen zappen und dort die alten Spielfilmszenen mit Helmut Berger und Romy Schneider auf den Schirm holen. Hatte Ludwig nun was mit Sisi? Antwort: Nein. War er homosexuell? Höchstwahrscheinlich ja.

Die Frage nach seinem Tod bleibt indes ungeklärt. Unfall, Selbstmord oder Verschwörung – jeder kann selbst Derrick spielen. Für königstreue Bajuwaren, und auch für Franz Burghardt, steht jedenfalls fest: Es war ein Komplott.