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Zeitreise durch die Kulturlandschaft im Kupferdreher Deilbachtal

Eine Zeitreise durch das Kupferdreher Deilbachtal

Die Kulturlandschaft Deilbachtal in Kupferdreh gilt als eine der Wiegen der Ruhrindustrie. Vor über 500 Jahren wurden hier Erz, Kohle, Schiefertone und Sandsteine abgebaut und verarbeitet. Die Keimzelle ist ein Hof.

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Craig Stevens ist ganz aus dem Häuschen. „Wir Amerikaner lieben solche alten Gemäuer“, sagt der Kalifornier, während er zum Fotoschießen fast unter die mächtige Stahlschere des Deiler Eisenhammers kriecht. Staubig und düster ist es in der Schmiede, die verlassen am plätschernden Deilbach liegt. „War mein Land schon entdeckt, als das hier gebaut wurde?“ Nein, war es noch nicht. Zwar ist das genaue Gründungsdatum des Eisenhammers nicht ganz eindeutig geklärt, „aber es muss ungefähr im 16. Jahrhundert gewesen sein“, so Achim Mikuscheit vom Ruhr Museum.

Wir stehen mitten im Kupferdreher Deilbachtal, einer musealen Kulturlandschaft, die als eine der Wiegen der Industriealisierung gilt. Und die doch vielen Essenern unbekannt ist. Die meisten streifen das Tal bei der Fahrt in die Elfringhauser Schweiz, nicht ahnend, dass rechts und links der Nierenhoferstraße schon vor über 500 Jahren Erze, Schiefertone, Kohle und Sandsteine abgebaut und weiterverarbeitet wurden. Dafür bot das Tal die besten Voraussetzungen: Es gab Wasser und Holz, Flöze, die an der Erdoberfläche lagen, Steinbrüche, und die nahe Ruhr als Transportweg.

Ausgediente Maschinen

Wie durch ein Wunder blieb ein Großteil der frühindustriellen Produktions- und Verarbeitungsstätten nicht nur erhalten, sondern wird weiter bewirtschaftet. So wie das Ensemble Kupferhammer, Kesselhaus und Kutschenhaus, an dem die gut dreieinhalbstündige Zeitreise durch die museale Landschaft beginnt. Von der Straße kaum sichtbar, präsentieren sich die Backstein-Gebäude erstaunlich gut restauriert. Einen großen Anteil an ihrem Erhalt trägt, neben dem Ruhr Museum, Michael Stratmann, der im Kupferhammer seine Werkstatt für Metallgestaltung betreibt. Ein Glücksgriff, sagt Achim Mikuscheit, denn Stratmann hat nicht nur den Hammer und das Kesselhaus nach den strengen Vorgaben der Denkmalschutzbehörde wieder hergerichtet, er füllt die historischen Stätten auch mit Leben. Zum Beispiel mit seinem Projekt „Kunst im Kesselhaus“, das jungen Künstlern ein Forum an einer besonderen Stelle bietet.

Wer den Durchgang zwischen Kesselhaus und Kupferhammer passiert, steht am nächsten verwunschenen Ort: Im Auenpark „Abgestellt“ haben ausgediente Maschinenobjekte ihre letzte Ruhe gefunden. Ein Splitterbunker, eine Ziegelsteinpresse, Stahlplatten aus der Krupp’schen Gussstahlfabrik, eine Laufkatze aus der Zeche Carl Funke dämmern einträchtig nebeneinander im hohen sumpfigen Gras. Sumpfig, weil sich früher hier der Stauteich des Kupferhammers befand. In der Mitte laden ein Tisch und Stühle zum Verweilen ein und am liebsten möchte man in diesem Herrgottswinkel den Rest des Tages verbringen. Geht aber nicht, denn wir wollen uns auch noch die Keimzelle des Deilbachtals anschauen. Der Deilmannsche Bauernhof wurde vor 600 Jahren erbaut und fast genauso lang von der gleichnamigen Familie bewirtschaftet. Bis 1972: dann starben mit den kinderlosen Schwestern Josefine und Thea die letzten Deilmanns aus. Vier Jahre später begründete die Familie Maiwurm im denkmalgeschützen Gebäude mit Stallungen und Heuschober eine neue Bauerndynastie. Inzwischen leben hier vier Generationen unter einem Dach.

Vom Kupferhammer zum Atomausstieg

Wie ein roter Faden durchzieht der Deilbach das ihm benannte Tal. Alle historischen Gebäude wie der Bauernhof, Kupfer- und Eisenhammer, die Deiler Mühle, aber auch die ehemalige Zeche Viktoria und das einstige Kohlekraftwerk liegen entlang des unscheinbaren Wasserlaufes, der die Quelle des vorindustriellen Wirtschaftsraumes war. Denn die Kraft des Wassers diente dem Antrieb von Hämmern und Mühlen; und die Anbindung an die Ruhr, die bereits 1770 schiffbar gemacht wurde, sorgte für eine verkehrsgünstige Lage.

Essen entdeckenEin paar Jahrzehnte später, 1830/31, wurde bereits die Deilthaler Eisenbahn auf Initiative des Industriellen Friedrich Harkort erbaut. Die schmalspurige Pferdebahn gilt als erste Eisenbahn Deutschlands. Eisenbahn hieß sie deshalb, weil die Fortbewegung der Wagen erstmals durch gusseiserne Räder mit Spurkranz erfolgte. Auf einer Länge von 7,5 Kilometern führte die Bahn von Überruhr bis nach Nierenhof. Auf der einstigen Strecke verkehren auch noch heute die Züge der S 9 nach Wuppertal.

Von der Zeche Viktoria, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand und bereits 1925 stillgelegt wurde, ist nur noch das Betriebsgebäude und ein Kaminfragment erhalten. Auch vom einstigen Kupferdreher Kohlekraftwerk, das übrigens 1911 als Dampf-Elektrizitätswerk startete, ist außer dem Stauwehr, das etwas versteckt im Dickicht liegt, nichts mehr übrig geblieben. Dort, wo es einst stand, befindet sich heute eine Kraftwerksschule, wo Ingenieure den Rückbau von Atommeilern erlernen. Betrachtet man diese Entwicklung, dann ist das der eigentlich krönende Abschluss der Geschichte des Deilbachtals.

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