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Julian Reus vom TV Wattenscheid ist der schnellste Deutsche

Julian Reus vom TV Wattenscheid ist der schnellste Deutsche

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Foto: Wolfgang Birkenstock
Julian Reus vom TV Wattenscheid gewinnt bei der Deutschen Hallen-Meisterschaft in Dortmund den Meistertitel im Sprint. Er ist einer der wenigen Deutschen, die in dieser Disziplin auch international mithalten können. In der nächsten Woche hat der 24-Jährige Medaillenchancen bei der Hallen-Europameisterschaft in Göteborg.

Dortmund. 

Reus ballt die Faust und richtet seinen Blick in die Höhe. Seine Gesichtszüge entspannen sich. Die Last der Erwartungen fällt von einer Sekunde zur anderen von ihm ab. Dortmund und Reus, das passt. Die Zuschauer stehen auf, klatschen im Stakkato und jubeln ihm zu: Julian Reus. Er steht nicht vor der gelb-schwarzen Wand und er hat seine Fans auch nicht mit einem zum Tor veredelten Geniestreich verzückt. Julian hat im Gegensatz zum BVB-Liebling Marco eine Mainstream-Frisur. Julian kann den Ball nicht so streicheln wie Marco, aber er ist schneller als der Fußball-Star. Viel schneller: Julian Reus ist der schnellste Deutsche. In 6,56 Sekunden gewann der Sprinter bei den nationalen Titelkämpfen in der Dortmunder Helmut-Körnig-Halle über 60 Meter. Das ist Weltklasse.

Das Wunderkind fiel rasch und tief

In einer Woche hat Reus bei der Hallen-Europameisterschaft in Göteborg Medaillenchancen, doch der 24-Jährige macht es so wie Marco, er hält den Ball flach: „Über 60 Meter darfst du dir keinen Fehler erlauben. Ein falscher Schritt kostet Hundertstelsekunden. Unter die Top Sechs will ich aber auf jeden Fall kommen.“

In Deutschland läuft Reus derzeit in einer eigenen Liga. Lucas Jakubzyk aus Berlin kam als Zweiter erst 14 Hundertstelsekunden hinter dem Wattenscheider ins Ziel. Das sind Welten im Sprint. Der letzte Deutsche Hallenmeister, der schneller war als Julian Reus, sprintete noch im letzten Jahrtausend. Patrick Schneider siegte 1999 in 6,54 Sekunden.

Mit Reus scheint endlich mal wieder ein Deutscher das Zeug zu haben, auch auf internationalen Bahnen mithalten zu können. Es ist eine Karriere im zweiten Anlauf.

2007 holte Reus EM-Gold bei den Junioren

2007 war Reus Europas schnellster Junior. Über 100 Meter und mit der deutschen Sprintstaffel holte er bei der EM Gold, über 200 Meter reichte es zu Silber: Seit 32 Jahren war kein deutscher Juniorensprinter so erfolgreich wie der damals 19-jährige Julian Reus. Sprinten ist zum großen Teil Begabung. Wer nicht die richtigen Gene hat, der mag sich noch so quälen, er stößt schnell an seine Grenzen. Reus ist hoch begabt, sein Talent schien grenzenlos zu sein. Doch das Wunderkind des Sprints fiel tief.

Erst handelte sich Reus eine Borreliose ein. Die Folgen eines Zeckenbisses schwächten den Körper massiv – und dann kamen auch noch Knochenödeme hinzu. „Ich habe vier Jahre verloren“, sagt Reus. Wollte er angesichts der Komplikationen nicht die Spikes in die Ecke schmeißen? „Niemals“, antwortet der in Hanau geborene Reus, „ich wusste doch immer, dass es einen Grund für meine Probleme gab. Ich habe daraus die richtigen Lehren gezogen.“

Reus verabschiedete sich vom Vorhaben, über Nacht die Sprinter-Welt aus den Angeln zu heben. Geduld, große Geduld war gefragt. Reus suchte sich Leute, die ihm weiterhelfen konnten. Einen Arzt, einen Physiotherapeuten und eine Psychologin. Wie genau er aus dem Tief gekommen ist, welche Tipps er angenommen hat, will Reus nicht weiter ausführen: „Das würde nichts bringen. Das kann bei jedem anders aussehen. Das muss man selbst herausfinden.“

Nächster Start: Die EM in Göteborg

Reus hat es herausgefunden. Im vergangenen Sommer meldete er sich zurück. Solche Rückschläge überwunden zu haben, das stärkt, das macht erwachsen. Und seine Beine waren immer noch schnell. Erst holte Reus mit der deutschen Sprintstaffel bei der EM in Helsinki Silber, dann knackte er mit dem Quartett den 30 Jahre alten deutschen Rekord und schließlich trommelte er die Bahn über 100 Meter in 10,09 Sekunden herunter. Nur ein Deutscher war im Zeitalter der elektronischen Zeitmessung je schneller: 1985 lief der Magdeburger Frank Emmelmann 10,06 Sekunden. Armin Harys 10,00 Sekunden waren noch handgestoppt.

Auch vom deutschen Rekord über 60 Meter (Sven Matthes, 6,53 im Jahr 1988) ist Reus nicht weit entfernt. Aber der Sportsoldat, der in Ansbach Internationales Management studiert, denkt nicht an Rekorde. Er ist froh, dass er endlich ohne Beschwerden über die Tartanbahnen fliegen kann. „Rekorde kann man nicht planen. Die passieren“, sagt er. „Ich gehe einfach in die Blöcke und mache mein Ding.“ Am kommenden Wochenende wieder: Bei der EM in Göteborg.