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Historischer Rundgang erinnert an Konstanzer Konzil vor 600 Jahren

Historischer Rundgang erinnert an Konstanzer Konzil

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Die beschauliche Stadt Konstanz am Bodensee hat vor langer Zeit Weltgeschichte geschrieben – ein Konzil der katholischen Kirche fand dort vor 600 Jahren statt. Viele Schauplätze des mittelalterlichen Kongresses sind auch heute noch zu sehen und werden den Besuchern von „Zeitzeugen“ präsentiert.

Konstanz. 

Ketzerei, Frevel, ein Skandal“, wettert der Herr mit dem gelben Umhang und den Schnabelschuhen. „Imperia“, diese neun Meter hohe, halbnackte Dame aus Gussbeton, die in der einen Hand ein missmutiges Kaiserlein und in der anderen einen mürrischen Papst balanciert, zeuge von tiefster moralischer Verwerflichkeit. Zu seiner Zeit wären die Verantwortlichen auf dem Scheiterhaufen gelandet – mindestens.

Ausgerechnet eine „Hübschlerin“, eine der 700 Prostituierten des Konzils, haben die Konstanzer 1993 zu ihrem neuen Wahrzeichen erhoben. Mögen sie mittlerweile auch fast alle stolz sein auf den weiblichen Blickfang am Hafen – er, Ulrich Richental, Gast aus dem Jahre 1414, erhebt weiterhin wortgewaltig seine Stimme gegen solche Zügellosigkeit.

„Augenzeuge“ mit trockenem Witz

Damals, zu seinen Lebzeiten, hat er, das reiche Konstanzer „Bürschle“, die umfassendste Chronik des Großereignisses verfasst. Jetzt ist er zurückgekehrt, verkörpert von dem Kunsthistoriker Henry Gerlach, einem der intensivsten Kenner der Konzilsgeschichte.

Gerade noch rechtzeitig kam er im Heute an. Denn ab morgen beginnen die Festlichkeiten mit einem großen Konzilsfest. Im Konzilgebäude findet die Landesausstellung „Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters“ statt – rechtzeitig zum 600. Jubiläum des größten mittelalterlichen Kongresses. Mit trockenem Witz führt der „Augenzeuge“ auf den Spuren von damals durch das heutige Konstanz. Er lässt den städtischen Alltag wieder aufleben und skizziert die Vorgeschichte des hochkarätigen Treffens, das die Einheit der Kirche wieder herstellen sollte. Denn damals stritten sich drei Päpste um die Vorherrschaft – und das waren definitiv zwei zu viel.

Vielsprachige Fußgängerzone

Zwischen 20.000 und 30.000 Bischöfe, Soldaten, Gelehrte, Fürsten und Professoren strömten 1414 in das 6000-Einwohner-Städtchen, das genau eine gepflasterte Straße besaß. Das „Hohe Haus“, an dem Richental jetzt Halt macht, gab es bereits, es war mit seinen sieben Stockwerken das höchste der Stadt. Eine Fischersfrau, der Kleidung nach Zeitgenossin des Chronisten, wartet schon. Wortreich erklärt sie das Wandgemälde, auf dem Marktweiber Hechte, Barsche und Felchen aus dem See feilhalten, aber auch Frösche und Schnecken. Unter den Konzilsteilnehmern befanden sich versierte Feinschmecker, die der Konstanzer Küche allerhand Neues bescherten. Italienische Bäcker mit fahrbaren Öfen etwa verkauften bis dahin unbekannte Teigfladen, die man als die Vorgänger der „Dünnele“ ansieht, der Konstanzer Version eines Flammkuchens.

Das Wandbild stammt, wie einige andere in der Innenstadt, aus dem Jahre 1935. Damals planten die Nazis, Konstanz zur „Visitenkarte“ des Deutschen Reiches aufzuhübschen und zahlten jedem, der ein verkommenes Gebäude restaurierte oder „mittelalterlich“ ausgestaltete, einen Zuschuss. Und nun müsse man sich, meint Richental-Gerlach am Obermarkt, das Stimmengewirr von damals vorstellen: Italienische Doktoren disputierten lauthals mit spanischen Gelehrten, Litauer, Engländer und Dänen radebrechten heftig miteinander. So viel anders geht es in der Fußgängerzone auch heute nicht zu, nur um einiges entspannter. Studenten plaudern in Spanisch, Englisch und Russisch, Italiener brüllen in Handys, Schweizer diskutieren vor den Schaufenstern die Vorteile von Naturseifen und teurem Balsamico-Essig.

Konstanz als Schauplatz der Hinrichtung von Jan Hus 

Die wichtigsten Sitzungen des Konzils fanden im Münster statt. Zwischen den Säulenreihen des romanischen Langhauses wurden Tribünen aufgebaut. Bewundernd standen Bischöfe und Kardinäle vor der zwölfeckigen Mauritius-Rotunde mit dem Heiligen Grab, von dem aus viele Pilger auf den 2340 Kilometer langen Jakobsweg aufbrachen – und noch immer aufbrechen. Die großen Goldscheiben, die jetzt in der Krypta hängen, schimmerten zu dieser Zeit außen von der Chorwand weit über den See. Die Türme, 1378 erbaut, erhielten erst Mitte des 19. Jahrhunderts ihr heutiges, neugotisches Gewand. Durch das Gewirr der verwinkelten Gassen der Niederburg aber, des ältesten Stadtteils, zwischen Kirche und Rhein, zog an feuchten Tagen schon damals der Nebel nicht viel anders als heute auch.

Im Münster wurde auch die grauenvollste Entscheidung des Konzils getroffen, das Todesurteil gegen Jan Hus. Der Kaiser hatte dem böhmischen Reformator freies Geleit zugesagt. Doch als der sich weigerte, seinen Lehren abzuschwören, kümmerte den Herrscher sein eigenes Geschwätz nicht mehr. Hus wurde zum Tode verurteilt und auf dem Richtplatz verbrannt.

Erst im 19. Jahrhundert erinnerte man sich in Konstanz wieder verstärkt an Hus. Die Genfer Fabrikantenfamilie Macaire übernahm das heruntergekommene Dominikanerkloster. Hier waren während des Konzils die französischen und italienischen Vertreter untergekommen und hatten im heutigen Festsaal die 60 blutrünstigen Märtyrerbilder vermutlich mit ebenso großen Augen bestaunt wie die Besucher 600 Jahre später.

Kurze Papstwahl im Lagerhaus

Irgendwann machten die neuen Besitzer aus dem Kloster ein Hotel, das heute fünf Sterne trägt. Den Kreuzgang ließen sie 1887 mit Szenen aus der Geschichte der Stadt ausmalen. Eine von ihnen zeigt „Hus im Inselthurm 1414“. Die Macaires, gute Calvinisten, gehörten auch zu den ersten, die Geld spendeten für den Hussenstein, der westlich der Altstadt an den Toten erinnert. Das Hus-Haus in der Hussenstraße dagegen wurde erst 1980 als Museum eingerichtet.

Der Rundgang endet am Hafen, an dem riesigen Lagerhaus. Der hellgelbe Klotz mit Walmdach war 1388 zum Speichern von Korn und dem berühmten Konstanzer Leinen gebaut worden. Er misst 53 Meter in der Länge, 27 Meter in der Höhe und war immer schon bestens geeignet für jede Art größerer Versammlung. Unter den mächtigen, offenliegenden Eichenbohlen des Dachgestühls schildert Richental-Gerlach, wie auf den beiden Stockwerken Verschläge eingebaut wurden, in die die 53 Wahlmänner zogen. Man mauerte die Fenster zu oder ließ sie vernageln, ein Wächter postierte sich mit zwei Fürsten vor der Tür. Ob nun, wie behauptet, der Heilige Geist tätig wurde, oder es den Herrn in dem kargen Ambiente lediglich bald zu wenig komfortabel wurde, bleibt offen: Erstaunlich schnell jedenfalls, schon am 11. November 1417, hieß es „Habemus Papam“. Der römische Kardinal Odo Colonna war gewählt und nahm den Namen Martin V. an. Damit hatte das Konzil zumindest eine seiner großen Aufgaben erfüllt. Und die Stadt Konstanz hatte sich ihren Platz in der Weltgeschichte für immer gesichert.