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Lebensaufgabe Alphabetisierung – Der Mann, der so gerne Schulen baut

Lebensaufgabe Alphabetisierung – Der Mann, der Schulen baut

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Foto: Friedhelm Zingler
Franz-Josef Kuhn aus Essen gründete vor 30 Jahren die abc-Gesellschaft. Seither sorgte er für Schulneubauten in Südamerika, Asien und Afrika. Und die Gesellschaft, die von Spenden lebt, organisierte die Weiterbildung von Zehntausenden Lehrern. Nicht immer ging das ohne Probleme ab.

Essen. 

Die besten Ideen haben Menschen oft, wenn ihnen etwas so richtig stinkt. Und Franz-Josef Kuhn war schwer genervt und noch mehr empört, als er damals als Verleger von Schulbüchern auch durch die ärmere Welt reiste und das Elend sah, auch das Bildungs-Elend. Er hatte das Fachwissen, etwas zu ändern und er hat die Moral, sofort damit zu beginnen: „Ich habe rund 100 Länder gesehen und dabei das Gefühl entwickelt, dass wir hier auf Kosten der anderen leben und gelebt haben. Ich wollte einfach was zurückgeben.“ Und so gründet er im Dezember 1984 mit Autoren, Professoren und Kollegen die abc-Gesellschaft. Eine Erfolgsgeschichte.

„Es war der Hammer“

Nur mal die wichtigsten Kapitel zusammengefasst: Zunächst wirkt die Gesellschaft in Südamerika. „Abc por todos“, für alle. Sprachunterricht für die Hochlandindianer in Bolivien, Ecuador und Peru. Sie lernen Lesen und Schreiben nicht nur in Spanisch, auch in den Muttersprachen Quecha, Aymara und Guarani. Gleichzeitig werden 32 000 Lehrer weitergebildet. Kuhn gründet dazu eine „Wanderakademie“, zieht selbst durchs Land, lernt dabei neue Ausbilder an. „Die Leute haben sich fast gekloppt, um in die Kurse zu kommen. Es war der Hammer.“

Abc baut ein Schulzentrum in Ecuador, dann sogar die erste Indianer-Universität in Südamerika. Es folgt der Sprung nach Asien. In Nepal entsteht eine Grundschule für die Kinder leprakranker Eltern, in Sri Lanka nach dem Tsunami eine „Bootsbau-Berufsschule“ und ein Schulzentrum für die Tamilen im Norden. Schließlich Afrika: In Malawi sind bis heute sechs Schulen entstanden. Gerade eingeweiht: ein Waisen-Kinder-Garten in Mpemba.

Franz-Josef Kuhn kennt die Not auch aus anderer Perspektive. 1938 in Köln geboren, verliert er als Zweijähriger seinen Vater, die Familie wird im Krieg dreimal ausgebombt, beim dritten Mal wird er verschüttet, befreit sich, irrt dann allein, gerade sechs Jahre alt, durch die brennende Stadt, vorbei an den Phosphor-Leichen, bis ihm endlich ein Feuerwehrmann hilft und ihn zum nächsten Krankenhaus schickt, wo er durch großen Zufall seine Mutter wiederfindet.

Wie sehr prägt das? Kuhn winkt ab. Zu viel Gefühl, zu wenig Verstand. Was ihn antreibt, ist das Wissen: „Ein Bauer, der Lesen und Schreiben kann, verbessert seine Erträge um 20 Prozent. Weil er sich informieren kann.“ Und er nennt gleich das Beispiel: „Nur durch das Aussäen von Gliricidia, einer Hülsenfrucht, an Maisfeldern lässt sich der Ertrag um 80 Prozent steigern, ohne Dünger. Davon müssen doch gerade die Armen erfahren.“ Kuhns Credo: „Hunger, Krankheit und Armut werden durch Bildung und Ausbildung besiegt.“

Überfall in Peru

Rückschläge gab es einige, bittere Rückschläge: Sieben Lehrer der Schule in Ecuador ertranken bei ihrem ersten Lehrerausflug. Ein Unfall. Kuhn sammelt sofort: „Mit 36 000 Dollar konnten wir den Kindern der Opfer wenigstens drei Jahre lang monatlich 100 Dollar geben.“ Nothilfe.

Im Norden Sri Lankas wird das Schulgebäude im Bürgerkrieg bombardiert, er selbst gerät in Peru in eine heikle Situation. „Mit Fahrer und Dolmetscher wurden wir von Guerilla-Soldaten des ‘leuchtenden Pfads’ gestoppt.“ Stunden müssen die Männer in Unterhosen in der prallen Sonne stehen, Kalaschnikow im Nacken. Gerede, Verhandlungen. Dann lässt man sie ziehen. Glück gehabt.

Kuhn liebt aber weit mehr die positiven Geschichten. „Als wir vor 30 Jahren anfingen, waren von den 4,8 Milliarden Menschen auf der Erde fast zwei Milliarden Analphabeten. Heute leben sieben Milliarden und 80 Prozent können Lesen und Schreiben.“ Natürlich ist das nicht nur, aber doch ein wenig auch der Erfolg seiner abc-Gesellschaft. „Vieles ist besser geworden: Frauen bekommen im Schnitt nur noch 2,5 statt 4,5 Kinder, die Kindersterblichkeit ist stark zurückgegangen, auch immer mehr Mädchen können eine Schule besuchen.“

Zu tun gibt’s aber noch genug. „In Malawi haben 3 von 7 Millionen Kindern keinen Unterricht. Manche Schulen bestehen nur aus im Freien aufgestellten Steinen zum Sitzen. Da muss man was tun. Denn das ist die für mich wichtigste Aufgabe: Das Menschenrecht auf Bildung durchsetzen.“