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Zu Tode geschuftet – Der tragische Tod der Maria Fernandes

Zu Tode geschuftet – Der tragische Tod der Maria Fernandes

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Final Shift Foto: Christina Ribau Orama
Nie weniger als 87 Stunden pro Woche arbeitete Maria Leonor Fernandes in drei Jobs bei der US-Backwaren-Kette „Dunkin’ Donuts“. Zwischen zwei Schichten schlief sie im Auto – und starb durch eine undichte Gasflasche. Arbeiten bis zum Umfallen ist in den USA keine Seltenheit, immer mehr Menschen brauchen mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen.

Washington. 

Als Maria Leonor Fernandes die Nachtschicht bei Dunkin‘ Donuts in Newark, US-Staat New Jersey, hinter sich hatte, wollte die 32-Jährige wie so oft nur noch eines: schlafen. Weil der nächste Job in einer nur ein paar Kilometer entfernten anderen Filiale der für überzuckerte Teigkringel bekannten Backwaren-Kette kurz bevorstand, legte sich die Tochter portugiesischer Eltern auf dem Parkplatz vor der Tür für ein Nickerchen in ihren gebrauchten Kia. Und wachte nie wieder auf.

Eine Gasflasche hinter dem Rücksitz war undicht. Passanten fanden den leblosen Körper der jungen Frau zehn Stunden später. Der tragische Unfall geschah vor zwei Monaten. Dass er noch immer Politik, Gewerkschaften und Medien in Amerika beschäftigt, liegt an Fernandes‘ Arbeitsbiografie. Drei Mini-Jobs beim gleichen Arbeitgeber. „Sie hat sich im wahrsten Sinne des Wortes tot geschuftet“, heißt es in Internet-Foren.

87 Stunden wöchentlich in drei Jobs, alle zum Mindestlohn

Von 14 bis 21 Uhr fand man die Michael-Jackson-Verehrerin aus dem US-Staat Massachusetts wochentags hinter der Ladentheke der Dunkin‘-Donuts-Filiale in Newarks Hauptbahnhof. Von 22 Uhr bis 6 Uhr in der Früh folgten regelmäßig Schichten im nahen Linden. Um daheim alle Rechnungen bezahlen zu können, legte Fernandes samstags und sonntags von 8 bis 13 Uhr in Harrison Extra-Stunden ein; auch bei Dunkin‘ Donuts.

Keiner ihrer Jobs wurde besser bezahlt als mit dem in New Jersey bei 8,25 Dollar pro Stunde festgesetzten Mindestlohn; circa 6,50 Euro. Zur Einordnung: Die Obama-Regierung propagiert einen Mindestlohn von rund 10 Dollar. Mitarbeiter von Fast-Food-Ketten wie McDonald’s und Burger King, die zuletzt in 150 US-Städten in den Ausstand traten, verlangen 15 Dollar.

Pro Woche arbeitete Maria Fernandes nie weniger als 87 Stunden. Macht hochgerechnet laut Gewerkschaft ein Jahreseinkommen von 36.000 Dollar (28.400 Euro); bei zwei Wochen Urlaub. Mehr als einmal fand Amelia Rezente ihre Mieterin morgens um drei schlafend im Auto vor dem Haus bei laufendem Motor. Fernandes war zu erschöpft, um ins Bett zu gehen.

Millionen neue Arbeitsplätze in den USA sind schlecht bezahlt

Der Fall wirft ein grelles Licht auf die Kehrseite des amerikanischen Arbeitsmarktes. Es gibt Millionen neue Arbeitsplätze. Aber viele sind schlecht bezahlte Teilzeitstellen. In der Phase nach der Rezession haben viele Unternehmen gerade im Niedriglohnsektor Vollzeit-Arbeitsplätze abgebaut. Um „Überstunden-Zahlungen und Beiträge für die Krankenversicherung ihrer Mitarbeiter zu umgehen“, klagen Gewerkschafter.

Ende August waren 7,2 Millionen „unfreiwillige“ Teilzeit-Arbeitnehmer in den USA auf der Suche nach einem Vollzeit-Job. 3,5 Millionen hatten zwei Jobs oder mehr. Gerade in der Schnellimbiss-Industrie. Betroffen sind dabei nicht vorwiegend Schüler und Studenten, die in der Wahrnehmung das Gros der Belegschaften im Fastfood-Sektor stellen. 2013 waren fast fünf Millionen deutlich über 25 Jahre.

Täglicher Kampf im Hamsterrad – besonders Frauen sind betroffen

„Frauen sind gesondert betroffen“, sagt Heidi Hartmann, Präsidentin des „Institute for Women‘s Policy Research“, und nennt ein krasses Beispiel für den täglichen Kampf im Hamsterrad, den alleinstehende Geringverdienerinnen zu bestehen haben. Debra Harrell wurde von der Polizei festgenommen. Sie ließ ihre Tochter während einer Schicht am Burger-Grill bei McDonald‘s allein im Park spielen. „Viele Frauen auf Jobsuche verschweigen darum die Existenz ihrer Kinder“, sagt Hartmann, „aus Angst, der Arbeitgeber könnte die Einstellung verweigern.“

Maria Fernandes war kinderlos. Sie wollte in diesem Herbst zu ihrem Freund Glenn Carter nach Pennsylvania ziehen. Bei ihrer Beerdigung standen viele Kolleginnen und Kollegen am Grab. Manche schauten unruhig auf die Uhr. Trauer vermischte sich plötzlich mit Hetze. Die nächste Schicht rief.