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Der Fall Vera Brühne bleibt rätselhaft

Der Fall Vera Brühne bleibt rätselhaft

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Vor 50 Jahren endete ein spektakulärer Mordprozess, die Richter in München sind sicher, dass die attraktive Vera Brühne aus Essen für einen Doppelmord verantwortlich ist. Doch bis heute bleiben Fragen.

Essen. 

Als das Urteil verkündet wird, schließt sie die Augen und sackt zusammen. „Ich war zutiefst erschüttert“, erinnert sie sich später. „Ich war doch unschuldig.“ Die Richter am Münchner Landgericht sehen das anders. Wegen Doppelmordes schicken sie die Angeklagte lebenslang ins Zuchthaus. Damit endet am 4. Juni vor 50 Jahren einer der spektakulärsten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und er endet mit einem Urteil, das bis heute umstritten ist.

Sie ist eine Bürgermeistertochter aus Essen-Kray

22 Tage hat das Gericht getagt. Hat 117 Zeugen vernommen, mehr als ein Dutzend Sachverständige gehört und versucht der Menschenmassen Herr zu werden, die in den Schwurgerichtssaal drängen. Es ist nicht der Fall, es sind nicht die Opfer, es ist die Angeklagte. Es ist Vera Brühne, Bürgermeistertochter aus Essen-Kray.

52 Jahre alt ist sie damals, aber immer noch eine attraktive Erscheinung. Blond, knapp 1,80 Meter, schlank und stets elegant. Kühl, lasziv, unnahbar. „Luxusweib“ nennen Männer solche Frauen. Ihre Ehefrauen sagen lieber „Flittchen“. Anfang der 60er arbeitet Brühne für den Münchner Arzt Otto Praun.

Otto Praun will ihr eine Finca vererben – kurz darauf ist er tot

Sie ist seine Chauffeuse, manche sagen, seine Geliebte. Praun ist reich. Villa am Starnberger See, Finca in Spanien. Letztere will er ihr vererben, wenn er stirbt. Das passiert schneller als erwartet. Am Donnerstag nach Ostern 1960 werden Praun und dessen Lebensgefährtin Elfriede Kloo erschossen im bayerischen Domizil gefunden.

Die Polizei geht zunächst von „erweitertem Selbstmord“ aus. Praun, so die Vermutung, habe in einem Anflug von Depression zunächst seine Freundin, dann sich selbst getötet. Fall gelöst, Spurensicherung unnötig. Bis man bei der Obduktion eine zweite Kugel in Prauns Kopf findet. Für einen Selbstmord eher ungewöhnlich.

Ihr Jugendfreund soll ihr geholfen haben

Als sich dann auch noch eine Sprechstundenhilfe des Opfers bei der Polizei meldet, die gehört haben will, dass ihr Chef das spanische Anwesen verkaufen wollte, wird Brühne zur Hauptverdächtigen. Beweise gibt es nicht, dennoch ist sich die Polizei sicher: Zusammen mit Jugendfreund Johann Ferbach ist sie am 19. April 1960 zur Villa gefahren und hat das Paar ermordet, um ihr Erbe zu sichern.

Als der Prozess beginnt, sind die Angeklagten schon verurteilt. Veras 1990 verstorbene Tochter Sylvia hat Reportern im Vorfeld von einem angeblichen Geständnis ihrer Mutter erzählt. Ferbach soll einem Zellengenossen die Tat gestanden haben. Die eine widerruft später, der andere wird als notorischer Lügner entlarvt. Beides ist dem Gericht ebenso egal, wie die Tatsache, dass der ermittelte Todeszeitpunkt Prauns offenbar falsch ist, Brühne damit ein Alibi hätte.

Sie macht keine gute Figur vor Gericht

Brühne streitet alle Vorwürfe ab. Aber sie macht keine gute Figur vor Gericht. Sie verwickelt sich in Widersprüche – und sie tritt so stolz auf, dass sie hochmütig wirkt. Als sie 1979 nach 18 Jahren begnadigt wird, ist der Fall mysteriöser als je zuvor. Belastungszeugen haben Aussagen zurückgezogen, sind aber kurz darauf unter ungeklärten Umständen gestorben. Ein früherer BND-Mitarbeiter hat von dubiosen Waffengeschäften berichtet, in die Praun verwickelt gewesen sein soll. Der Arzt sei liquidiert worden, als er Ärger gemacht habe, die Brühne nur Bauernopfer einer Verschwörung. Wieder aufgenommen wird der Fall nie.

Nach ihrer Entlassung zieht Vera Brühne wieder in ihre alte Münchner Wohnung. Kurz vor ihrem Tod 2001 gibt sie der ARD ein Interview. Kerzengerade sitzt sie in ihrem Sessel, schwerhörig, aber geistig fit. Keinen beschuldigt sie der Tat, niemanden verdächtigt sie, nur eines beteuert sie immer wieder: „Ich habe das nicht getan.“