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Das große Flattern in Hitchcocks „Vögel“ ist geklärt

Das große Flattern in Hitchcocks „Vögel“ ist geklärt

Hitchcock hatte eine reale Vorlage für seinen Film „Die Vögel“. Im August 1961 knallten Hunderte Sturmtaucher auf die Dächer der kalifornischen Kleinstadt Capitola. Nun haben Forscher herausgefunden: Ein Nervengift aus Algen soll für die Attacken der Vögel verantwortlich gewesen sein.

Washington / Santa Cruz. 

Es hat sich über die Jahre im Volksmund festgesetzt wie klebriges Lakritz. Störche bringen die Kinder, Tauben den Frieden, Schwalben den Sommer. Und Alfred Hitchcocks „Die Vögel” Gänsehaut pur.

Warum eigentlich? Die US-Wissenschaftlerin Sibel Bargu liefert, was den Film-Klassiker anbelangt, jetzt die Antwort. Bisher waren sich die Experten nur darin einig, dass sich der britische Meister-Regisseur 1963 nicht allein von seiner schriftstellernden Landsmännin Daphne du Maurier inspirieren ließ. Die hatte in einer Novelle beschrieben, wie es ist, wenn Federvieh plötzlich vom Himmel fällt.

Hitchcock aber nahm sich neben Fiktion auch Wirklichkeit zum Maßstab. Am 18. August 1961 knallten tatsächlich Hunderte Sturmtaucher auf die Dächer der kalifornischen Kleinstadt Capitola. Die Straßen waren mit toten Vögeln übersät. Es stank bestialisch, weil die Tiere vor dem Sturzflug unverdauten Fisch reiherten. Hitchcock wohnte seinerzeit nebenan, las in der Lokalzeitung von dem rätselhaften Vorfall und ließ sich von den wackeren Redakteuren des „Santa Cruz Sentinel” alle Informationen schicken, um sie in seinem neuen Thriller zu verarbeiten. Der Rest ist Kulturgut.

Scharen von Möwen und Krähen, die durch Kamine und Fensterritzen kommen

Die Zoohandlung. Die Lovebirds. Tippi Hedren. Sehr blond. Sehr in Angst. Rod Taylor. Ein Mann, wie ein Baum. Scharen von Möwen und Krähen, die durch Kamine und Fensterritzen kommen und auf den Schauspielern herumhacken, die „Hitch” seinerzeit am Film-Set in Bodega Bay, 60 Kilometer nördlich von San Francisco, seinen ornithologischen Launen aussetzte. Millionen Kino- und Fernsehgucker drückt es noch heute vor Anspannung in den Sessel, wenn das große Flügelschlagen beginnt.

Allein, was das reale Vogelsterben auslöste, war bis vor kurzem ungeklärt. Sibel Bargu ließ das keine Ruhe. Als Kind, erzählte sie Journalisten, schickten ihre Eltern sie immer aus dem Wohnzimmer, wenn „Die Vögel” über die Mattscheibe flatterten. Der Ozeanographin und Biologin an der Lousiana State University in Baton Rouge ließ das keine Ruhe. Seit kurzem weiß man, warum. Gemeinsam mit Forschern der University of California/Zweigstelle Santa Cruz und Meeresbiologen des Scripps-Instituts aus La Jolla/San Diego führte Bargu jetzt im Labor den Beweis, dass ein von Algen produziertes Nervengift für die extreme Verhaltensänderung bei der realen Vogel-Plage von ’61 verantwortlich gewesen sein muss.

Wie in der Januar-Ausgabe des renommierten Fachmagazins „Natur Geoscience” nachzulesen ist, haben die Wissenschaftler anhand von 1961 sichergestellten Asservaten, unter anderem Plankton, eine faszinierende Nahrungskette nachgewiesen. Danach sorgt die Kieselalge Pseudo-nitzschia, die an der kalifornischen Südküste gedeiht, gelegentlich für nennenswerte Mengen der giftigen Domoinsäure, die fürs tierische Hirn gelinde gesagt nicht gut ist. Die Folgen: Fische fressen Algen. Vögel fressen Fische. Das Gift macht sich breit. Plötzlich wird ihnen schlecht. Und sie fliegen sich wie betrunken um Kopf und Schnabel. Bauchlandung!

Wie Drohnen

Damit wäre nach fast 50 Jahren die zentrale Frage des Thriller-Gewerbes – „Whodunit?” Wer war’s? – aus der naturwissenschaftlichen Vogelperspektive geklärt. Na ja, wenigstens halb. Schließlich ließ Hitchcock seine „Vögel” wie unbemannte Drohnen auf die Menschheit los. Algen können das nicht.

Hoffentlich.