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Boss des Opfer-Clans der Duisburger Mafia-Morde verschwunden

Boss des Opfer-Clans der Mafiamorde auf der Flucht

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Foto: WAZ

Rom/Duisburg. 

Italienische Zeitungen fragen sich, wie der in die Duisburger Mafia-Morde verwickelte Pate Antonio Pelle aus seiner Gefängniszelle entkommen konnte. Offenbar hat er einen raffinierten Plan verfolgt. Jetzt wird er in ganz Süditalien gesucht.

Die Ermittler ahnten es, konnten aber anscheinend nichts dagegen unternehmen. Dank der Wanzen in Antonio Pelles Gefängniszelle wussten sie von seinem Plan, sich bis zur Magersucht auszuhungern, und somit seine Strafe zu Hause absitzen zu können. Und so kam es dann auch. Im April gewährte man ihm Hausarrest. Doch jetzt ist Antonio Pelle, 49, gefürchteter Boss der kalabresischen organisierten Kriminalität ‘ndrangheda und Mitglied des Opfer-Clans der Duisburger Morde vor dem Restaurant „da Bruno” am 15. August 2007, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Am frühen Mittwoch Nachmittag hat er sich aus dem Staub gemacht. Ist aus dem Krankenhaus in Locri, in das man ihn fünf Tage zuvor wegen eines Zusammenbruchs eingeliefert hatte, geflohen. Entdeckt wurde die Flucht von den Ärzten bei ihrer Visitenrunde. Vor Pelles Zimmer war kein Wachposten aufgestellt. Innenminister Roberto Maroni erklärte: „Bei Hausarrest entfällt diese Sicherheitsmaßnahme”.

Mag sein, dass man Verurteilte, denen man diese mildere Haftungsmaßnahme aus gesundheiltichen Gründen gewährt, für körperlich zu schwach hält, um jeglichen Fluchtversuch zu unternehmen. Bei Pelle handelt es sich jedoch um einen der gefährlichsten n’drangheda-Bosse der kalabrischen organisierten Kriminalität.

Ermittler durchkämmen Schritt für Schritt die Gegend

Jetzt durchkämmen die Ermittler Schritt für Schritt die ganze Gegend von Locri bis hin zu San Luca, dem Bergstädchen im Aspromonte, Ursprungsort dieser Familienfehde, wo sich die Pelle–Vottari seit Jahren mit den Nirta-Strangio blutig bekämpfen. Wenn man Pelle nicht schnell fasst, könnte die Fahndung auch Jahre dauern. Der Aspromonte ist eine äußerst unwirtliche Gegend, und Pelle hat viele Gefolgsleute. Die Ermittler verfolgten ihn ein Jahr lang, bevor sie Pelle fassen und der Justiz übergeben konnten. Das Gericht von Reggio Calabria verurteilte ihn zuerst zu zehn Jahren wegen Drogenhandels und dann zu weiteren 13 Jahren im Bezug auf die Fehida-Ermittlung, zu der auch der Fall von Duisburg gehört.

Pelles Flucht am Mittwoch hat natürlich großes Aufsehen erregt. Und auch viele Spekulationen angefacht. So liest sich schon der Titel vom Corriere della Sera wie eine Anklage: „Es stand kein Wachposten vor dem Zimmer”, und im Artikel ist die Skepsis nicht zu überhören: „Der ,magersüchtige’ Boss konnte sich kaum auf seinen Beinen halten”, wobei das Wort magersüchtig wohlweislich in Anführungsstrichen steht. Die Mailänder Tageszeitung wirft jedoch auch Fragen auf : „Warum diese Flucht, gerade jetzt, wo er die Strafe in seinen vier Wänden aussitzen konnte? Und warum gerade aus dem Krankenhaus in Locri?”

Magersucht nur vorgetäuscht?

Die Antworten dazu könnten andere Zeitungsberichte liefern. In der römischen la Repubblica erzählt Nicola Gratteri, einer der Staatsanwälte in Reggio Calabria: „Während seiner Haftzeit hatten wir durch Lauschaktionen mitbekommen, dass Pelle sich Pillen zum Abnehmen verschaffen wollte. Die hat er dann auch bekommen, wahrscheinlich durch Mithilfe von Komplizen im Gefängnis, in überhöhter Dosis eingenommen und des öfteren das Essen verweigert, bis es zur Notaufnahme im römischen Krankenhaus Pertini kam.” Daraufhin wurde ihm im April der Hausarrest gewährt.

Doch war dies anscheinend nur der erste Teil von Pelles Plan. Deswegen kam er wahrscheinlich ins Krankenhaus von Locri, anstatt in irgendein anderes zu gehen. Aus der Online-Zeitung Blitz erfährt man: „Gerade in diesem Krankenhaus hat die ‘ndrangheta nicht nur verschiedene Morde auf dem Gewissen, sondern hier findet man unterm Personal auch zahlreiche Verwandte der ‘ndrangheta Bosse.”

Jetzt fordert Mario Tassone, Mitglied des Antimafia-Ausschusses, die Regierung auf, im Parlament über den Vorfall, und die Flucht von Pelle Rechenschaft abzugeben. „Es ist nämlich in keiner Weise annehmbar, dass der seit Jahren geführte Kampf gegen eine der gefährlichsten und blutigsten Fehden durch solche Leichtfertigkeit gedemüdigt und zunichte gemacht wird.”